Manhattan
Raum niemandem bestens ging. Obwohl er wusste, das Bill Dietz die Stadt täglich nach frischen Heroinquellen absuchte und sich zusammen mit den Junkies und Pillenschluckern anstellte und darauf wartete, dass der Dealer aufkreuzte. Um wie die anderen mit vorgehaltener Polizeimarke und allem Brimborium festgenommen zu werden, doch er war Bill Dietz, so dass sie ihn vorzeitig in Pension schickten und vorher noch irgendeinen Ganoven verprügeln ließen, damit das Ausscheiden aus dem Dienst einen ordnungsgemäßen Anstrich bekam. Und jetzt blickte er heimlich über Fensterblenden und lauschte auf das Knarren der Bettfedern und versuchte es schnell hinter sich zu bringen, damit er Zeit hatte, die Stadt zu durchstöbern.
»Na, hast du dir Urlaub genommen?«, fragte Walter das Bild des gekreuzigten Jesus, nachdem Sarah gegangen war. »Bist du jetzt ausgeruht und bereit, die Zehntausend zu speisen? Brot und Fische, Leprakranke, Lazarus, all diese Dinge? Wir könnten dich im Augenblick sehr gut gebrauchen. Oder bist du einfach nur tot?«
Jesus blieb stumm. Seine traurigen gemalten Augen blickten zu Boden.
»Ich will eine Antwort, gottverdammt!«, brüllte Walter. »Ich verlange eine gottverdammte Antwort!«
Er stand mit gerötetem Gesicht da, außer Atem, hob die Arme mit geballten Fäusten und hörte nur sein eigenes, mühsames Atmen.
Ein schockierender Verlust von Selbstbeherrschung, sagte er sich. Anne hätte es sehr gefallen.
Er kauerte sich hin und zog One Lonely Night aus dem Versteck unter dem Bett. Er setzte sich auf den Stuhl am Kopfende von Marys Bett und sagte: »Es kann sein, dass ich morgen nicht kommen kann, meine Schöne, aber machen Sie sich keine Sorgen. Morgen ist Silvester, und ich bin sicher, dass Bill etwas Besonderes geplant hat, um 1959 angemessen zu begrüßen …«
Anschließend las er ihr vor, obwohl er nicht wusste, ob sie ihn hören oder verstehen konnte, und bemühte sich aus irgendeinem albernen Grund, den er sich nicht erklären konnte, mit dem Buch an diesem Nachmittag fertig zu werden. Es dauerte mehr als eine Stunde. Er hörte Sarah hereinkommen, spürte ihre Gegenwart an der Tür, hörte, wie die Tür zuging und wie sie auf dem Flur zurückging. Kurz darauf las er: »Nein, niemand ging je über die Brücke, vor allem nicht in einer Nacht wie dieser. Nun, kaum jemand. Ende.«
Er ließ das Buch wieder unter das Bett gleiten, küsste sie auf die Wange und sagte: »Glückliches neues Jahr, Mary.«
Sarah verabschiedete sich nur mit einem Winken, als Walter aus der Tür ging. Er wusste ihre Diskretion zu schätzen, da sie ihnen beiden erlaubte, so zu tun, als weinte er nicht.
Als er durch die Drehtür kam, sah Walter, wie Mallons Augen aufleuchteten. Der Pförtner wies mit dem Kopf schnell auf die gegenüberliegende Tür, auf zwei Männer in Mantel und
Filzhut. Walter nickte ihm ein »Okay« zu und ging zur Reihe der Fahrstühle. Die beiden Männer eilten scheinbar lässig herüber, um denselben Fahrstuhl zu besteigen.
Das hat das FBI so an sich, dachte Walter. Bei der Arbeit auf der Straße sind sie noch nie sehr gut gewesen. Außerdem sehen sie alle gleich aus, dachte er, als die beiden Männer den Fahrstuhl bestiegen und auffällig auf Knöpfe mit den Zahlen starrten. Starke Unterkiefer, aber ein weiches Kinn. Bundescops aus ein und derselben Kuchenform, die dem Direktor, wie sie den alten J. Edgar nannten, so gefiel.
Nur um sie zu ärgern, stand Walter gleichmütig da und drückte nicht auf einen Knopf. Stattdessen fragte er: »Welches Stockwerk?«
»Ganz nach oben«, erwiderte der Ältere.
»Zum Penthouse«, sagte Walter. »Das heißt also Kleider, Abendkleider und Unterwäsche.«
Ein privater kleiner Scherz, dachte Walter, aber sehr befriedigend.
Er wartete darauf, dass einer der beiden auf den Halteknopf drückte, was der Ältere zwischen dem fünften und sechsten Stock tat.
»Sind Sie Walter Withers?«, fragte er.
»Meine Freunde nennen mich Zero.«
»Ich bin nicht Ihr Freund«, entgegnete der Ältere. »Und er auch nicht.«
»Dann können Sie mich auch nicht Zero nennen«, gab Walter zurück. »Und Sie auch nicht.«
»Ich bin Special Agent Madsen«, sagte der Ältere. »Und das ist Special Agent Stone. Wir sind vom Federal Bureau of Investigation.«
»Und ich dachte schon, Sie wären von Otis.«
»Wir haben Grund zu der Annahme, dass Sie in ein versuch
tes Verbrechen gegen US -Senator Joseph Keneally verwickelt sind«, sagte Madsen.
»Was für ein
Weitere Kostenlose Bücher