Mann der 1000 Namen
pausenlos bis zur Abenddämmerung durch eine schier endlose Wildnis, bis sie wieder einen Lagerplatz mit schattenhaften Gestalten an einem glitzernden Fluß erreichten.
Okay, ihr Hundesöhne, dachte Mark. Wenn ihr nicht sprechen wollt, kann ich genauso schweigsam sein wie ihr.
Der vierte Tag verging. Diesmal, als der Abend hereinbrach und die nun große Gruppe von Männern und Frauen sich dem hellflackernden Feuer eines neuen Lagerplatzes näherte, hörte er das Krachen von Kanonenschüssen.
Mit Unbehagen ließ Mark sich mit den anderen mitschleifen, näher heran an die Feuer, aber auch an das ständige Donnern des Artilleriebeschusses.
Bei allen guten Geistern, dachte er, weshalb löschen sie denn die Lagerfeuer nicht. Auf wen immer sie auch schießen, der kann sich doch danach richten und mit gleicher Münze heimzahlen.
Doch erstaunlicherweise schien niemand beunruhigt. Die Gruppe marschierte ungerührt weiter durch das dichte Unterholz und die Dunkelheit. Als sie das Lager erreichten, fanden sie dort, wie auch bisher immer, eine größere Anzahl von Halbnackten vor. Und ebenfalls, wie jeweils zuvor, mischten sie sich unter sie.
Während die Kanonen, oder was immer es auch war, mit ihrem schrecklichen Lärm fortfuhren, fütterte ihn ein Mann. Die furchterregenden roten Blitze und der Donnerknall kamen von links von ihnen, wie Mark feststellte, während er resigniert jedesmal gehorsam den Mund öffnete, wenn sich ihm der Löffel näherte. Wie üblich träufelte ein Teil der dicken Flüssigkeit über sein Kinn und auf die verschmutzte Kleidung herab. Doch weder das noch das Ballern der Kanonen schien den Halbnackten zu stören, der offenbar völlig gleichmütig neben ihm kauerte. Er lächelte nicht. Er verzog nicht einmal das Gesicht, noch drehte er den Kopf. Unglaublich!
Es war diese absolute Ungerührtheit, die Mark schließlich zu Bewußtsein brachte, daß, auf wen diese Leute auch schossen, diese das Feuer nicht erwiderten.
Es erleichterte ihn sehr. Er vermochte nun sogar einzuschlafen. Und dann – als er irgendwann einmal aufwachte, stellte er fest, daß die Kanonen schwiegen.
Danach unterschied diese Nacht sich nicht von allen vorherigen. Nur daß er diesmal irgendwie das Gefühl hatte, der kommende Morgen würde von größerer Bedeutung sein.
Am fünften Morgen öffnete Mark Bröhm die Augen und sah, was er bereits gerochen hatte – einen weiteren Fluß. Doch jenseits des Wassers befand sich etwas, das wie die Ruinen einer Stadt aussah.
Darauf hatten sie also geschossen!
Wie üblich fütterte ihn einer der Männer. War es derselbe wie am Abend? Auch diesmal konnte Mark sich dessen nicht sicher sein. Er musterte ihn intensiv und fragte unwillkürlich: »Kennst du – oder sonst einer von euch – Steven Ma ...«
Während des Sprechens schob der Mann ihm den Löffel in den Mund. Mark würgte und hustete. Er spuckte die Suppe ins Gesicht des ihn Fütternden, ins Gras und über sich selbst.
Als er endlich wieder Luft schnappen konnte, führte man ihn mit festem Griff zum nahen Fluß. Sein Hals und seine Lungen brannten. Mein Gott, dachte er, ich wäre fast erstickt, nur weil ich vergessen hatte, wo ich mich befinde – und weil ich eine dumme Frage stellte.
Der Fluß schlängelte sich gemächlich zwischen den grünen Ufern dahin und verlor sich schließlich, etwas breiter werdend, zwischen den Ruinen, die offenbar einst eine Stadt gewesen waren.
Der nahe Geruch des Wassers ließ Mark sich besser fühlen. Er blickte seinen Wächter, der einen Schritt zurückgetreten war, fragend an.
Er hält mich ja gar nicht mehr am Seilende, staunte Mark. Er verschwendete keine Zeit. Mit einem zufriedenen Seufzer ließ er sich auf die Knie nieder – und zitterte doch in der Erwartung, daß diese erbarmungslosen Hände ihn wieder packen würden (nie zuvor hatten sie ihn losgelassen).
Aber seine Arme waren noch am Rücken gefesselt, er würde damit nicht weit kommen, wenn er zu fliehen versuchte.
Sekunden vergingen. Niemand griff nach ihm, niemand holte ihn zurück. Mark machte gar keine Anstrengungen mehr, sich umzusehen. Kniend beugte er sich über das Gras am Ufer, um seinen Kopf ins kühle Naß zu tauchen. Vor Vorfreude öffnete er die Augen weit und blickte auf das ihm entgegenkommende Spiegelbild im klaren Wasser.
Doch das Gesicht, das er dort sah, war nicht seines!
Verwirrung erfaßte ihn.
In Augenblicken des Stresses reagierte der menschliche Verstand auf äußerst komplexe Weise, doch die bewußte
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