Mann der 1000 Namen
Steven.
Lindy wich seinem Blick aus. Ihr Gesicht wurde noch röter, wenn das überhaupt möglich war. »Es schien mir nicht mehr so wichtig«, murmelte sie. »Schließlich ist es ja nicht wirklich Dan. Ich sehe jetzt den Unterschied.«
»Ich bin genausowenig Daniel.«
»Aber an dich habe ich mich gewöhnt«, erklärte Lindy nun strahlend. »Als Persönlichkeit. Eine Stunde nachdem mir klar geworden war, daß Mark Mark war und nicht du«, fügte sie hinzu, »habe ich mich in dein Schlafzimmer eingesperrt. Ich blieb dort, bis dein Vater anrief.«
Das war eine typisch weibliche Reaktion, die nicht unbeeinflußt von den Masterschen Milliarden war, dachte Steven mit üblicher Geringschätzung. Aber ihre Anhänglichkeit, diese erste Nacht nach seiner Rückkehr, kam ihm ganz gelegen. Er spürte, daß der Steven-Körper weibliche Gesellschaft sehr entbehrt hatte. Er hatte sich ohnehin schon überlegt, welche seiner ehemaligen Freundinnen er herbeizitieren könnte. Doch das war ja nun nicht mehr nötig. Die gute alte Lindy würde die Leere in den nächsten Tagen füllen, während er zu seinem alten Leben zurückfand.
Steven quälte die unangenehme Gewißheit, daß es viele unausweichbare Störungen und Befragungen geben würde. Bis alles überstanden war, war Lindy – trotz ihres Alters, denn sechsundzwanzig schien Steven plötzlich entsetzlich alt – gut genug.
Doch so unkompliziert sollte es nicht werden.
17.
Wo es um den Normalitätsstandard ging, stand Steven nicht gerade auf der obersten Leitersprosse. Aber wirr im Kopf war er, nach einem bestimmten Alter jedenfalls, nie. Die einzige psychiatrische Einstufung, die vielleicht auf ihn paßte, wäre Paranoiker.
Man betrachte das Universum aus einem einseitigen Gesichtswinkel, füge zusätzlich den Subjektivismus hinzu und einen Schuß Größenwahn – und man hatte Steven.
Steven in einem fremden Körper war nicht eine andere Persönlichkeit. Er war Steven durch und durch.
Bekannten, die Steven während der Tage beobachteten, nachdem Lindy Utgers seine ständige Begleiterin geworden war, fiel seine wiederholte merkwürdige Geistesabwesenheit auf.
Er hatte plötzlich die Angewohnheit, ob im Stehen, Sitzen oder Liegen, kurz jeglichen Kontakt mit der Umwelt einzustellen. Es war, als zöge er sich in eine inneres Universum zurück.
War es – konnte es – möglich sein, daß eine psychische Veränderung in dem gutaussehenden Schädel bis zum extremen Rückzug in die Schizophrenie stattfand? Jene, in Stevens Bekanntenkreis, die ein wenig etwas davon verstanden, und die nun wie früher zu Stevens nächtlichen Parties herbeiströmten, flüsterten einander diese Frage ins Ohr. Die Antwort war fast immer ja.
Tatsächlich wäre es jedoch selbst für die größte Kapazität auf diesem Gebiet schwierig gewesen, sich mehr als nur ein ungefähres Bild von einem Überlebenstyp wie Steven zu machen. Was Steven nämlich den anderen verschwieg, war, daß er Mutters Gedanken aufnahm.
Er war davon selbst nicht begeistert, um so weniger, als er sich vorstellen konnte, daß er in solchen Augenblicken auf andere sicher keinen guten Eindruck machte. Aber es gab nichts, was er dagegen tun konnte.
Es ist eine feststehende Tatsache, daß der Mann der Gattung Homo sapiens das Bedürfnis empfindet, seinen Samen zu verbreiten. Einesteils hält er sich insgeheim für einen kleinen Gott – und eine Frau sich für eine heimliche Prinzessin – andererseits lebt er in einer Welt, in der die Menschen ihren Mund nicht halten können und gleichzeitig den Drang zu einer negativen Einstellung haben. Also erzählt man schon dem Knaben, daß es sein Schicksal ist, von Würmern gefressen zu werden.
Das versetzte ihm natürlich einen Schock. Sein normaler Impuls daraufhin ist, durch seine Kinder unsterblich zu werden. Steven, der bereits vor seiner Pubertät immer das Gegenteil von dem tat oder wollte als die anderen, hatte von seinem ersten Verkehr an dafür gesorgt, daß ihm keine der berechnenden Weiber eine Vaterschaftsklage anhängen konnte.
Stevens bewußtes Denken lehnte nach wie vor Mutters Absichten auf ihn als lächerlich, dumm und nicht wert ab, sich auch nur eine Minute damit zu befassen. Aber die Assoziationen drangen immer wieder an die Oberfläche – Szenen, Erscheinungen, bildschöne Frauen in Engelsgewand, Überlegungen wie es wäre, achthundertsechsundachtzig Kinder pro Jahr zu haben.
Dann gab es noch die Erinnerung an das, was Kroog erwähnt hatte: daß er mehr
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