Mann mit Anhang
Dokument zu lesen. Sie sind inzwischen
ein berühmter Maler geworden, Ronald ein erfolgreicher Geschäftsmann, außerdem
ein Witwer und ein wunderbarer Vater. Und ich bin eine in drei Ehen
nachweislich erprobte Versagerin und keine hervorragende Mutter. Ich möchte
Ihnen gern helfen, die Bilanz Ihres Unternehmungsgeistes zu ziehen. Haben Sie
selbst mal einen Strich unter Ihr Werk gesetzt und sich genau überlegt, was
eigentlich dabei herauskam? Gönnen Sie mir heute nach so vielen Jahren die
trübselige Schadenfreude, Sie in bezug auf die Gestaltung von menschlichen
Schicksalen einen Pfuscher zu nennen. Grüßen Sie Ronald von mir. Man soll sich
nach zweiundzwanzig Jahren nicht flüchtig wiedersehen, um sich ebenso flüchtig
adieu zu sagen. Ich sollte ihm das eigentlich selbst sagen, aber ich glaube,
ich werde ihm nicht mehr schreiben. Ich gebe das Rennen auf. Jeannette Bonnard.«
Ronald faltete den Brief
sorgsam zusammen und überlegte, was es hier noch zu sagen gäbe.
»Sie denkt nicht sehr gut von
mir. Ich dachte, es interessierte dich vielleicht«, sagte Uckermann trocken. Er
stützte den borstigen Schädel in die Hand. »Vielleicht wäre Goggi ohne einen
legitimen Vater genauso glücklich geworden, vielleicht wäre auch Goggis Mutter
irgendwie über die Sache hinweggekommen. Jeannette hat recht: man darf der
Liebe nicht den Laufpaß geben.«
Da Ronald schwieg, beugte er
sich über den Tisch und musterte ihn unter seinen buschigen Brauen. »Erzähl mir
von deiner Begegnung mit Jeannette. Goggi behauptet, du hättest sie auf den
Flugplatz gebracht und sie einfach so abschwirren lassen, ohne ihr auf
Wiedersehen zu sagen. Stimmt das?«
Ronald berichtete, was sich
ereignet hatte. Als er damit fertig war, blickten die Männer beide auf Jacky,
der die vorbeiziehenden Gerüche analysierte.
»Wirklich ein Husarenstück von
deinem Hund. Konntest du denn nicht —«
Ronald wurde ungeduldig, weil
er sich genau dieselbe Frage schon hundertmal vorgelegt hatte. »Nein, eben
nicht. Ich konnte ihn doch nicht einfach hängen lassen.«
»Nein, natürlich nicht.«
Uckermanns gescheite Augen ruhten bekümmert auf dem Freund. Sie wanderten
hinunter zu Ronalds Hand, die auf dem Brief lag, als könnte ein Windstoß ihn
wegblasen. »Willst du ihn behalten?«
»Ja.«
»Willst du nicht endlich einen
Strich unter das Ganze machen? ; Jeannette ist schließlich verheiratet und
außerdem —« Er rückte das Salzfaß schräg nach vorn, als sei es eine
Schachfigur, mit der er einen Zug mache, »außerdem hörst du ja, daß auch
Jeannette das Rennen aufgibt.«
»Ja.«
Ronald tat so, als studiere er
die Speisekarte. »Natürlich mache ich einen Strich drunter. Ich mache überhaupt
nur mehr Striche. Unter Goggi auch. Ich sehe sie kaum noch, so vergafft ist sie
in ihren Mann.«
»Mein lieber Freund, das ist
der Lauf der Welt. Was hast du denn erwartet? Daß ihr abends zu dritt
>Räuber und Gendarm< spielt? Oder »Mensch ärgere dich nicht«
»Ich höre abends nicht mehr
Rundfunk, weil ich in die obere Etage hinaufhorche«, fuhr Ronald unbeirrt fort,
»ich horche, ob sie die Treppe herunterkommt. Oder ob sie sich vielleicht mit
ihrem Mann verkracht. Ehrlich gesagt: Manchmal wünsche ich es mir sogar, daß
sie Krach miteinander haben. So bin ich. Ein Schweinehund.«
»Ein ganz gewöhnlicher Vater«,
erklärte Uckermann. »Lies Sigmund Freud. Und bessere dich. Lenke dich ab. Fang
eine Liebschaft an mit irgend jemand.«
»Mit der Muhr, jawohl, das habe
ich vor«, entgegnete Ronald in grimmiger Verzweiflung. »Oder hast du einen
besseren Vorschlag?«
Uckermann hatte sich endlich
dazu durchgerungen, sein Essen zu bestellen. Er winkte dem Ober. Während er mit
ihm verhandelte, faltete Ronald den Brief zusammen und steckte ihn in die
Tasche.
Jacky hob die Nase. Man trug
ein gebratenes Hähnchen vorbei. Er blickte Ronald fragend an. Weißt du noch,
Paris? Das jugoslawische Restaurant? Wann machen wir eigentlich mal wieder
einen Herrenabend? Wir beide ganz allein?
10
Ronald hatte in der letzten
Zeit mit Ahnungen zu tun. Er nahm sich vor, Aufzeichnungen über diese Ahnungen
zu machen, um nachzuprüfen, wie weit sie sich bewahrheiteten. Meistens ahnte er
unerfreuliche Dinge voraus. An diesem frostklirrenden Februarmorgen ahnte er —
während er sich von dem kiefernadelduftenden Badewasser wohlig umfangen fühlte
— ausnahmsweise, daß ihm eine angenehme Überraschung bevorstand. Die Erwartung
auf etwas Nettes belebte
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