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Mann mit Anhang

Mann mit Anhang

Titel: Mann mit Anhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gitta von Cetto
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Jüngste.
    Die Ärzte entdeckten dies und
das, nicht gerade besorgniserregende Krankheiten, aber kleine organische
Schönheitsfehler. Sie verordneten ihre Medizin: täglich einen Spaziergang und
ausreichenden Schlaf.
     
    Die Muhr war neben ihm
stehengeblieben und wachte darüber, da er auch wirklich seine Pillen nahm.
»Frau Orlano bittet Sie, Ihren Mokka oben zu trinken«, sagte sie.
    Oben bei Frau Orlano! Ronald
empörte sich jedesmal über diese Bezeichnung. Warum sagte die Muhr nicht
>bei Ihrer Tochter    »Ist es Ihnen recht, wenn es
heute abend Karpfen gibt?« fragte sie, und sein Gesicht erhellte sich.
    »Sehr recht.« Die täglichen
Mahlzeiten und die Muhr, die sie kochte, hatten allmählich an Bedeutung
gewonnen. Man wurde gefräßig. Das gehörte mit zu den gefährlichen Jahren.
    Fräulein Muhrs Besorgnis um
sein leibliches Wohl erstreckte sich auch auf sein Bett und seinen Schlaf. Seit
Ronald einmal über ein leichtes Ziehen im Rücken geklagt hatte, schlief er auf
einem rheumalindernden Unterbett aus Schaf-Schurwolle. Die Muhr hatte so lange
gebohrt, bis er es angeschafft hatte. Nun lag er weich wie in Watte gepackt.
    Im Hinausgehen warf er Fräulein
Muhr einen wohlwollenden Blick zu. »Ein neues Kleid? Das steht Ihnen aber
wirklich großartig.«
    Ihr Gesicht, eines jener
jahrelosen Gesichter zwischen dreißig und fünfzig, strahlte. »Sie wollen doch
den Karpfen blau mit Schlagsahne und Meerrettich?« erkundigte sie sich, während
sie das Geschirr vom Tisch nahm. »Oder lieber polnisch?«
    »Nein, am liebsten blau.« Wie
leicht es war, die Muhr glücklich und fast hübsch zu machen, wenn man ihr was
Nettes sagte.
    Dieses grünspanfarbene Kleid!
Es war eine Katastrophe, eine Niedertracht, der Muhr mit ihrer mehligen
Gesichtsfarbe so etwas zu verkaufen.
    Er stieg die Treppe hinauf.
Jacky immer zwei Stufen voraus. Weißt du, wohin wir gehen, alter Freund? Nicht
zu Goggi. Wir gehen zu Frau Orlano.
    Goggi servierte den Mokka in
ihrer weißen Arbeitsschürze. Seit Nico sich im Dachboden sein Atelier und seine
Dunkelkammer eingerichtet hatte, half sie ihm bei der Arbeit und bewährte sich
als eine äußerst geschickte Laborantin. Sie machte bereits selbständig sehr
brauchbare Schnitte und zeigte beim Entwickeln der Filme ein großes
Fingerspitzengefühl.
    Nico kam ins Zimmer. Er trug
ein blütenweißes Hemd zu einer uralten, grauen Kordhose und sah unverschämt gut
aus. »Ich weiß noch gar nicht, wie wir das Baby in unseren Arbeitsplan einbauen
sollen«, sagte er beim Mokka.
    Sie werden es mir andrehen,
dachte Ronald resigniert. Ich werde mit ihm auf einer sonnigen Bank im Park
sitzen und es an meiner goldenen Ticke-Tacke horchen lassen. Und die Leute
werden sagen: sieh mal, der nette Opa mit dem süßen Kleinen.
    »Möchtest du einen Jungen oder
ein Mädchen als Enkelkind haben?« hörte er Goggi fragen.
    »Ein Mädchen, wenn ich bitten
darf.«
     
    Der Mai war da und die warmen
Winde, die Schwalben, die Blüten, die Windeln, das Kinderbettchen, die
Kinderbadewanne, die Babywaage, die Milchflaschen, Erstlingsjäckchen und
Nabelbinden. Nur das Baby selbst ließ noch etwas auf sich warten.
    Goggi sah dem Ereignis gelassen
entgegen, aber Nico war entsetzlich aufgeregt, er vergaß, seine Fotos aus dem
Wasserbad zu nehmen, und steckte die Zigaretten mit der brennenden Seite
zwischen die Lippen.
    Paul Uckermann war als Taufpate
auserkoren. Er drängte seine Vertragspartnerin Goggi auf pünktliche Lieferung
des Täuflings und machte mit seinem Kater Versuche, wie man ein Baby anmutig
auf den Armen halten konnte, ohne es fallen zu lassen.
    Fräulein Muhr fraß seit Monaten
sämtliche auf dem Markte befindlichen Bücher über Säuglingspflege in sich
hinein und hatte sich bei dieser Lektüre einen Bazillenrappel geholt. Das ganze
Haus roch nach Lysol wie eine Seuchenstation, und auch vor Ronalds Schlafzimmer
wurde mit dieser Großaktion gegen Krankheitskeime nicht haltgemacht. »Was
glauben Sie eigentlich, welche ansteckenden Krankheiten ich hier einschleppe?«
fragte er gereizt. Er und Jacky verabscheuten den Lysolgeruch.
    Die Muhr putzte und entkeimte
aber nicht nur, es wurde auch unerbittlich und bei jeder Außentemperatur
gelüftet. Im Haus zog es ständig, und Goggi hatte einen steifen Hals bekommen.
    Ronalds Augen hingen bewundernd
an seiner Tochter, als schicke sie sich zu einem Experiment an, das noch keiner
vor ihr gewagt hatte. Goggi selbst hatte noch keine rechte Einstellung zu dem
Wunder ihrer

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