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Mann Ohne Makel

Titel: Mann Ohne Makel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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meist belanglose Aufsätze veröffentlichten, waren die besser als er? Diese Dutzendschreiberlinge, die jeden Furz der Weltgeschichte parfümierten, die Aufschneider und Wichtigtuer, die Streber, die alle gleich aussahen? Ihnen fehlte der Skrupel, der Stachelmann lahmte. Oder bildete er es sich nur ein? Redete er seine Unfähigkeit schön, indem er sie Skrupel nannte? Skrupel vor der Prahlerei, die in seiner Branche mit entschied über Aufstieg oder Untergang? Stachelmann wusste, es war die letzte Chance, aus seinem Leben etwas zu machen.
    Er schaute auf die Uhr. Gleich hatte er seine Verabredung mit Anne. Eine Stimme in ihm sagte, er solle besser nicht hingehen.
    ***
    Es war eine kleine Zweizimmerwohnung unter einem Dach in Winterhude, nicht weit entfernt vom Präsidium. Ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer, eine kleine Stehküche, ein enges Bad. An der Wand im Wohnzimmer hingen das Poster einer Ausstellung »Moderne Malerei« im Kunsthaus und eine Kandinsky-Reproduktion. Fernsehgerät, Stereoanlage, ein paar CDs mit Popmusik. Ein Bücherregal mit ein paar besseren Romanen der letzten Jahre, ein Volkslexikon, keine Krimis. Ein Sofa, braun und alt, ein Sessel, der nicht dazu passte. Ein kleiner Schreibtisch, Nachbildung eines Sekretärs. Auf dem Boden ein Flokati, grau angelaufen. Im Schlafzimmer ein Doppelbett, Nachttisch, Schrank. Im Flur eine Garderobe, Holzbrett mit Haken, an die Wand geschraubt, ein Spiegel.
    Ossi war vorher nie bei Ulrike zu Hause gewesen. Jetzt war sie tot, und er war hier. Er hatte die Szene vor Augen und würde sie nie vergessen. Der schwarze Mercedes, der sie umbrachte. Der Wagen schleuderte kurz, krachte gegen den Bordstein des Mittelstreifens und raste weiter. Ossi hatte den Fahrer nicht erkannt. Es sei ein Mann gewesen, glaubte er, gesehen zu haben. Ulrike lag regungslos auf dem Bürgersteig. Sie starrte Ossi aus leeren Augen an. Ihr Gesicht war blutverschmiert, rot waren auch Hände und Beine. Das linke Bein war nach außen abgeknickt. Ossi fasste ihr an den Hals, dann an die Pulsader, er legte sein Ohr an ihre Brust. Nichts, sie war tot, wahrscheinlich schon, bevor ihr Körper auf dem Bürgersteig aufschlug. Ossi rief mit seinem Handy den Rettungswagen und leitete die Fahndung ein nach dem Mercedes. Dann setzte er sich neben die Leiche auf den Boden und weinte.
    Wenige Minuten später drängelten sich Polizisten, Ärzte und Journalisten am Tatort. Taut zog Ossi hoch, nahm ihn kurz in den Arm und sagte: »Wir müssen ihn finden.«
    Die Medien hatten Beschreibungen des Mercedes verbreitet, Polizisten klapperten Reparaturwerkstätten und Parkhäuser ab. Niemand hatte den Wagen gesehen.
    Und nun stand Ossi in Ulrikes Wohnung, er glaubte, ihren Geruch wahrzunehmen. Er wusste nicht, was er suchen sollte. Er öffnete den Schreibtisch, der Schlüssel steckte in der Klappe. Filzstifte, ein Notizblock, ein Papierstapel. Er nahm Notizblock und Papierstapel und setzte sich aufs Sofa. Er legte die Unterlagen auf die Sitzflache neben sich. Er fing an mit dem Notizblock. Auf der ersten Seite ein Einkaufszettel, auf der folgenden irgendwelche Maße, sie wollte vielleicht etwas nähen. Ossi schaute sich um, entdeckte aber keine Nähmaschine. Auf dem dritten Blatt hatte sie ein Gesicht skizziert, grobe, schnelle Striche, aber gute Proportionen. Vielleicht entstand die Zeichnung beim Telefonieren. Auf der vierten Seite ein Mann in Farbe, nackt, die Geschlechtsteile herausgestellt. Die anderen Blätter waren leer. Ossi packte den Block in seine Aktentasche.
    Der Stapel bestand aus Papieren, die Ulrike aufeinander gelegt hatte. Vielleicht beim Aufräumen, vielleicht war es der Stapel, auf dem alles landete, was sie sich später einmal genauer anschauen wollte. Es waren Briefe ihrer Mutter, Ossi mühte sich mit der zittrigen Handschrift und gab dann auf. Sie würden später Zeit finden, die Briefe zu lesen. Die Wahrscheinlichkeit war gering, dass sie darin einen Hinweis auf den Täter entdeckten. Ossi fand Rezepte, herausgerissen aus einer Zeitung, meist italienische Küche. Der Prospekt eines Möbelversandhauses über Einbauküchen. Ob sie die heruntergekommene Küche erneuern wollte? Vielleicht hat sie davon nur geträumt, dachte Ossi, als er die Preise las. Man darf sterben für den Staat, nur sollte man nicht hoffen, vorher reich zu werden. Unter dem Prospekt fand sich ein Schreiben eines Lexikonverlags, der einen Rabatt versprach, wenn man seine mehr als zwanzig Bände umfassende Enzyklopädie binnen

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