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Mann Ohne Makel

Titel: Mann Ohne Makel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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setzen wollte, wenn er ihn hinausgeworfen hatte? Er spürte, wie sich alles in ihm verkrampfte.
    Anne schaute ihn aus verwunderten Augen an.
    »Ja, natürlich helfe ich dir«, sagte er. Er fürchtete zu stottern.
    »Du kennst ja mein Thema«, sagte sie.
    Schweigen.
    »Ursprünge des Systems der nationalsozialistischen Konzentrationslager«, sagte sie.
    Er nickte. Er hatte davon nichts gehört und bisher geglaubt, Anne schlage sich mit irgendeiner Sache aus der wilhelminischen Zeit herum. Ihr Thema überschnitt sich mit seinem. Bohming wusste, Stachelmann hatte eine enorme Menge von Quellen zusammengetragen. Nun wollte er Anne davon profitieren lassen, bevor er Stachelmann rausschmiss, damit Anne seine Stelle bekam und Bohming Annes Dank erntete. Was für ein Plan! Je länger er darüber nachdachte, desto weniger traute er Bohming eine solche Gemeinheit zu. Aber vielleicht war es kein Plan, sondern eine Eingebung, etwas Ungefähres, das sich zur Lösung verdichtete, wenn Stachelmann den Berg der Schande nicht bewältigte. Bohming sprach oft von Eingebungen. Die nur Berufene erhielten. Aber sie waren nicht in einem antiken Drama, Stachelmann hatte es in der Hand. Er musste nur tun, was er sich vorgenommen hatte. Welche Blamage, wenn Anne seine Stelle bekam, weil er keine Zeile zu Papier gebracht hatte.
    Wusste Anne etwas davon?
    »Ja, natürlich«, sagte Stachelmann. »Ich helfe dir. Aber wie?«
    »Ich muss dir etwas gestehen. Ich habe Angst vor Archiven.
    Komisch, für eine Historikerin, nicht?« Stachelmann musste lachen, es war komisch. »Aber warum bist du dann Historikerin geworden?«
    »Ja«, sagte sie. »Das musst du jetzt fragen.«
    Schweigen.
    Sie ging in die Küche, es klapperte, sie kam zurück mit zwei Glasschalen. »Eis, selbst gemacht«, sagte sie. »Gut, die Milch haben Kühe gemacht, die Eier haben Hühner gelegt, der Zucker stammt von irgendwoher, von Rüben oder aus Kuba, und die Schokolade hat der Sarotti-Mohr gemacht. Ich habe alles zusammengerührt und ins Tiefkühlfach gestellt.«
    Stachelmann zwang sich zu lächeln. Warum wird eine Historikerin, wenn sie sich vor Archiven fürchtet? Er hatte mal von einem Kollegen gehört, der an einer Papierstauballergie litt. Er ging trotzdem ins Archiv, zog weiße Baumwollhandschuhe an und schluckte hin und wieder eine Tablette. Er hatte den Mann bewundert. Wie konnte einer seine Begeisterung für die Geschichte besser zeigen? Sie hatte seine Frage nicht beantwortet, versuchte das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. Tratsch am Institut, die nächste Mitarbeiterkonferenz.
    Sie hatte ihm noch nicht gesagt, wie seine Hilfe aussehen sollte. »Und wie kann ich dir helfen?«
    Sie schaute ihn ängstlich an. Da war kein Strahlen mehr.
    »Bohming hat gesagt, du hättest riesige Mengen von Quellen gesammelt. Das reicht für drei Arbeiten, meint er. Da sich unsere Themen überschneiden, würde ich mich freuen, wenn ich mal in deine Unterlagen hineinschauen dürfte.«
    Stachelmann erinnerte sich an seine Recherchereisen nach Berlin, Koblenz, Weimar, Nordhausen und in einige andere Städte. Er übernachtete in billigen Hotels an lauten Straßen. Er schlief kaum, weil ihn die Gelenke schmerzten, obwohl er Tabletten geschluckt hatte. Es war eine Qual gewesen. Aber nicht schlimm genug, um nicht noch einmal zu fahren, wenigstens nach Berlin und Buchenwald. Er hielt es für wichtig, viel mehr Material zu haben, als er verarbeiten würde, weil er nur so die Quellen einordnen und bewerten konnte. Offensichtlich begriff das nicht einmal der Sagenhafte: Quellen sind nicht heilig, sie widersprechen sich oft, sie müssen gegeneinander gestellt werden. Nur derjenige, der den Bestand kennt, kann die richtigen Quellen auswählen. Es kostet Zeit, die der Arbeit, die auf den Quellen beruht, nicht auf den ersten Blick anzusehen ist. Wer wirft schon einen zweiten Blick in eine wissenschaftliche Arbeit? Trotzdem, Bohming irrte, Stachelmann hatte nicht zu viel Material, sondern eher zu wenig. Er würde noch einmal reisen. Der Berg der Schande würde weiter wachsen, vielleicht gelang es Stachelmann, ihn abzutragen, wenn er hoch genug war. Falls er nicht vorher hinausgeschmissen wurde.
    Nun also trug Bohming einer Assistentin den Doktortitel nach, die Angst vor Archiven oder Quellen oder beidem hatte. Stachelmann hätte sich ärgern sollen, eine Frechheit, die ihm Bohming zumutete. Er spürte aber keinen Ärger, sondern Rührung. Da saß Anne, klein und schön, er glaubte, ihre Hände

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