Mann Ohne Makel
alte Mann reparierte geduldig die Autos, Puppen und Lokomotiven.
Mit einer kleinen Zange bog er die Halterung der Achsenlager gerade. Vorsichtig bewegte er die Scheibe des Schwungmotors.
Jetzt fanden die Zahnräder keinen Halt aneinander. Er bog die Halterung ein weiteres Stück und drehte wieder an der Scheibe. Nun übertrugen die Zahnräder die Kraft auf die Hinterachse. Er drehte die Hinterachse und sah, wie die Schwungscheibe sich bewegte. Er war zufrieden mit sich, er hatte die Ursache gefunden. Noch war der Schaden nicht behoben, die Halterung war weich und würde bei der ersten Belastung erneut verbiegen.
Er ging noch einmal zur Kommode. Er holte ein kleines Schweißgerät mit einer winzigen Gasflasche und eine Kiste. In der Kiste kramte er eine Weile, bis er zwei Metallplättchen gefunden hatte. Er verbog die Plättchen zu einer L-Form und passte sie an die Stellung der Achshalterungen in der Lokomotive an. Er bog sie vorsichtig und prüfte immer wieder, ob sie passten. Dann setzte er eine Schweißerbrille auf, nahm ein Stück Schweißdraht und befestigte die Plättchen an den Halterungen und am Boden des Chassis. Er dosierte die Hitze vorsichtig, Blech wird schnell weich. Er drehte das Gas ab, die Flamme erlosch. Er legte die Schweißerbrille auf den Tisch. Sein Gesicht hatte sich gerötet. Er pustete auf die beiden Schweißstellen und wartete. Nach einigen Minuten bewegte er die Lok vorsichtig nach vorne. Das Schwungrad drehte sich. Er ließ die Lok los, sie fuhr ein Stück. Er hatte es geschafft. Ein Lächeln zog über sein Gesicht. Er war beliebt in dem großen Mietshaus in der Hansastraße. Hier wohnten acht Mietparteien. Der alte Mann galt als hilfsbereit und freundlich.
Vor allem die Kinder liebten ihn. Es kamen sogar Kinder aus Nachbarhäusern, wenn ihre Spielsachen kaputt waren. Der alte Mann konnte fast alle reparieren. Wenn Eltern mit dem Geldbeutel in der Hand erschienen, winkte er ab und erzählte, es bereite ihm Freude zu basteln. Früher habe er einen Spielzeugwarenladen besessen. Er könne so gewissermaßen seinen alten Beruf weiter ausüben, daran sei ihm gelegen. Basteln sei besser, als herumzusitzen. Was könne er als alter Mann sonst tun? Am Ende glaubten die Eltern, ihre Kinder täten dem alten Mann einen Gefallen, wenn sie ihm ihr kaputtes Spielzeug brachten. Er freute sich schon auf den Augenblick, wenn es an der Tür klingelte und der Kleine mit dem wirren roten Haar dastand und nach seiner Lokomotive fragte.
Er lehnte sich zurück. Er war zufrieden. Bald hatte er seinen Auftrag erfüllt. Dann konnte er endlich sterben. Er lächelte, als er an den Arzt dachte. Der hatte herumgedruckst, bis es endlich heraus war. Prostatakrebs, mit Metastasen. Vielleicht könne man mit Chemotherapie und Bestrahlung etwas ausrichten, wenigstens das Wachsen verlangsamen. Der alte Mann hatte gelacht. Nein, dieser Qual werde er sich nicht unterziehen. Er genoss die Zeichen der Erlösung. Es würde alles bald ein Ende haben. Er blickte auf sein Leben zurück. Es bestand aus Unrecht, Schmerzen, Tod. Warum sollte er es verlängern?
Er dachte zurück an die Jahre in London. Er hatte zuerst in einem Lager gelebt, mit mehr als vierzig anderen Kindern. Die Räume waren feucht. Als immer mehr Bomben in der Nähe einschlugen, hatte man sie aufs Land gebracht. Er kam zu einem Bauernehepaar. Sie waren dreckig und mürrisch, schlugen ihm ins Gesicht und nannten ihn Jack, weil sie seinen Namen nicht aussprechen mochten. Sie gaben ihm abends nichts zu essen, wenn sie meinten, er habe zu wenig gearbeitet. Er schlief in einer Kammer, es passten gerade ein Bett und ein Stuhl hinein. Im Dach tummelten sich Mäuse, anfangs hatte er Angst vor den Geräuschen, dann hatte er nur noch Angst vor seinen Pflegeeltern. Der Mann soff und schlug dann auf alles ein, auch auf seine Frau. Manchmal schickten ihn seine Pflegeeltern auf ein Feld zur Nachlese, dann war er stundenlang allein. Es war herrlich. Jack sah Flugzeuge am Himmel, träge zweimotorige Heinkel-Bomber und rasante Spitfire-Jäger im Kampf mit Messerschmitts. Er lehnte sich an einen Baum und schaute in den Himmel. Er war glücklich, wenn ein deutsches Flugzeug abgeschossen wurde. Er tanzte auf dem Feld, das getroffene Flugzeug zog eine Rauchfahne hinter sich her, während es zu Boden stürzte. Manchmal sah man weiße Punkte in der Luft, Fallschirme, Flieger, die sich in die Gefangenschaft retteten.
Einmal geschah, was er sich gewünscht hatte und doch fürchtete. Ein
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