Mann Ohne Makel
sie der Mann auf eine richtige Spur. Hatte er etwas zu tun mit Holler? Klar war nur, Enheim hatte mit Holler ein Geschäft gemacht, das Fragen aufwarf. Vor allem die nach der Rückerstattung. Warum zahlte jemand einen Teil des Kaufbetrags zurück? Warum hatten Holler und Enheim nicht von vornherein einen niedrigeren Kaufpreis vereinbart? Warum hatte Holler mit allen Verkäufern nicht niedrigere Preise abgemacht? Und warum war Enheim so sauer gewesen auf Holler?
Er musste Holler noch einmal fragen. Aber es würde die Mordfälle nicht lösen. Da war sich Ossi sicher. Genauso sicher war, er würde sich nach der Besprechung am Abend eine Flasche Doppelkorn kaufen.
***
Stachelmann beendete seinen Spaziergang und kehrte in den Lesesaal des Bundesarchivs zurück. Er begnügte sich mit den Akten, die er kriegte. Es war für ihn nicht viel Neues. Am Wochenende würde er nach Weimar fahren und sein Glück dort versuchen. Er studierte die Strukturen in Pohls Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt, dem die Wirtschaftsbetriebe der SS und die Konzentrationslager unterstanden. Pohl war der Manager des Todes, kein Eiferer, wirksam, ein moderner Massenmörder. Sein Leben endete am Galgen. Sein Grab in Landsberg am Lech auf dem Friedhof neben der Justizvollzugsanstalt ist seitdem eine Wallfahrtstätte deutscher Nazis. Die Personalakten zeigten den Werdegang eines Musternationalsozialisten, angefangen bei den Freikorps nach dem Ersten Weltkrieg bis zum Obergruppenführer der SS. Stachelmann ging noch einmal zu den Regalen mit den Findbüchern. Vielleicht fand er woanders eine Antwort auf die Frage, ob Pohl sich die KZs unterstellen wollte oder ob es auf Himmlers Befehl zurückging. Nach dem Krieg hatte Pohl wortreich jede Verantwortung für den Mord abgestritten, die Tatsache des Judenmords aber nicht. Das war erstaunlich für den Chef aller Chefs der KZs, jedenfalls in den letzten Jahren.
Stachelmann fürchtete seinen Forschungstrieb, er hatte ihn schon oft übers Ziel hinausschießen lassen. Was nutzen einem Einsichten, die sich nicht verwerten ließen, besonders nicht in seiner Habilitationsschrift? Wie konnte er den Bogen schließen zwischen den Anfängen der Konzentrationslager und Pohl, dem sie erst später unterstellt wurden? Er blätterte in Findbüchern, seine Gedanken schweiften zurück zum Berg der Schande. Was für einen Sinn hatte es, sich auf Pohls Spuren zu begeben, wenn er es nicht einmal verstand, den Aktenberg in Hamburg abzutragen? Darunter waren auch viele Kopien aus dem Bundesarchiv in Lichterfelde, einige hatte er auf Verdacht kopieren lassen, als er noch als künftiger Star am Seminar gehandelt wurde und der Lehrstuhl seine Kopierechnungen bezahlte, ohne zu fragen.
Er stellte die Findbücher zurück ins Regal, packte sein Notebook unter den Arm, winkte Herrn Bender zu und ging in das Zimmer, das sich ein Kaffeeautomat mit Garderobeschränken aus Stahl teilte. Er öffnete seinen Schrank, nahm seine Aktentasche heraus, steckte den Computer hinein und verließ das Archivgebäude. Es war schwül, am Himmel weiße Wolken. Stachelmann schwitzte, als er die Eingangspforte erreichte. Er gab seinen Benutzerausweis zurück und trat auf den Bürgersteig der Finckensteinallee. Er würde seine Sachen ins Hotel bringen und dann die U-Bahn Richtung Zoo nehmen, um dort in die Bahn zur Friedrichstraße umzusteigen. Ein Bummel am Reichstag und in Ostberlin.
Auf einmal hatte er das Gefühl verfolgt zu werden. Augen bohrten sich in seinen Rücken. Er blieb stehen und drehte sich um. Eine alte Frau auf dem Bürgersteig schob einen Kinderwagen vor sich her. Ein BMW fuhr auf der Gegenfahrbahn, darin ein Türke, jedenfalls wenn man die Musik einsortierte, die der Mann laut hörte. Stachelmann ging weiter. Er erreichte das Haus Morgenland und legte seine Tasche in seinem Zimmer ab. Er verließ das Hotel in Richtung S-Bahnhof Lichterfelde-Ost. Er folgte der Königsberger Straße. Es war jemand hinter ihm. Stachelmann blieb stehen, zwei Mädchen mit Rucksäcken überholten ihn. Er suchte die Umgebung mit Augen ab. Nichts Auffälliges. Im Bahnhof kaufte er an einem Kiosk die Berliner Zeitung. Als er auf den Bahnsteig kam, wartete ein Zug in Richtung Friedrichstraße. Er setzte sich auf die Bank am vorderen Ende des letzten Wagens, den Rücken in Fahrtrichtung. Es saßen zwölf oder dreizehn Leute im Wagen, keiner schien Stachelmann zu beachten. Stachelmann schlug die Zeitung auf und beschäftigte sich mit dem Berliner Kulturleben.
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