Mannerfreie Zone
Gespräche über Chuck aufdrängen wird.
„Ja, das ist schlimm“, sagt Roseanne, die offenbar plötzlich zu Fräulein Mitleid mutiert ist.
„Willst du den Rest der Wohnung sehen?“ Auf gar keinen Fall will ich das ganze Wochenende über einen Folk-Sänger sprechen, der die beste Zeit schon hinter sich hat. Monica lässt ihre Tasche fallen und sieht sich um. Ihr Gesichtsaudruck verrät nichts.
„Wow! Gar nicht so schlecht. Ich meine, es ist ja einigermaßen geräumig.“
„Nun, nach New Yorker Standards ist es sogar ziemlich groß.“
„Und billig“, fügt Roseanne hinzu.
„Ja, Liebling, es ist echt toll.“ Ich hasse es, wenn sie mich Liebling nennt. Monica ist nur fünf Jahre älter als ich. Aber ich habe mir geschworen, mehr Geduld mit ihr zu haben. Sie starrt aus dem Fenster auf die 7. Avenue. „Aber es ist bestimmt ziemlich laut.“
„Nicht sehr“, lüge ich. „Es ist eine tolle Wohnung.“
„Kann man da draufsteigen?“ Sie meint die Feuerleiter.
„Nun, jetzt ist es zu kalt, aber wir nennen es gerne unsere Veranda.“
„Oder unseren Balkon.“ Monica nickt und blickt aus dem Fenster. Ich weiß, dass sie an Chuck denkt. Was soll’s.
„Also, Monica, was willst du heute tun? Einkaufen gehen?“
„Klar, das wäre nett. Ich bin so selten in New York, ich komme mir wie eine Touristin vor.“
„Von denen werden wir heute genug zu sehen bekommen. Lass uns erst was essen. Roseanne hat Frühstück gemacht.“
„Ja, Pfannkuchen mit Honig, Walnüssen und frischen Früchten.“
„Oh, das klingt gut, aber ich habe gerade erst Obstsalat gegessen.“
„Ach so, ich kann dir auch was anderes machen. Eier?“ Arme Roseanne.
„Nein, ist schon okay. Ich bin Veganer.“ Wie bitte?
„Wie bitte?“ Ich kann nicht glauben, dass sie so eine Spinnerin ist. „Aber warum, Monica?“
„Nun, Chuck ernährt sich vegan. Ich glaube, es ist einfach besser so. Es wäre doch geradezu scheinheilig, wenn ich mir über die globale Ökologie Gedanken mache und gleichzeitig tierische Produkte esse.“
„Du bist Vegetarierin?“ fragt Roseanne verwirrt.
„Nein, Veganerin“, erkläre ich, „Die essen überhaupt keine tierischen Produkte – wie Käse, Milch, Eier, Honig.“
„Menschen sollten keine Kuhmilch trinken, Eve.“
„Ich werde daran denken. Ich finde es nur etwas drastisch.“ Und dann kommt mir ein Gedanke. „Was wirst du an Weihnachten tun?“ Da gibt es bei uns immer ungefähr sieben verschiedene Fischgerichte.
„Ich esse nur die Nudeln.“
„Mom wird ausflippen. Dad wird durchdrehen. Und Tante Sadie wird das als persönliche Beleidigung empfinden, wenn du ihren Calamares-Salat nicht isst. Das wird ein riesiges Problem.“
„Monica, hier ist dein Obst. Ich habe jede Menge davon.“ Roseanne wieder. So ein Mist!
„Danke.“
Roseanne wirft mir einen mütterlichen Blick zu, als wolle sie mich davon abhalten, mit Monica zu streiten. Wir frühstücken. Ich bitte um einen zweiten Pfannkuchen. Leider bekomme ich nur die Hälfte herunter, weil ich eigentlich völlig satt bin und nur noch um einen zweiten gebeten habe, um Monica zu ärgern. Monica erzählt ununterbrochen von Chuck (Ich kann damit nicht umgehen.). Sie behauptet, dass er mir gefallen wird – aber das hat sie von dem Marxisten und dem religiösen Fanatiker, den sie während ihres Aufenthalts in Appalachia kennen gelernt hat, auch gesagt. Um genau zu sein, sagt sie das immer, wenn es einen neuen Mann in ihrem Leben gibt. Ich versuche, ruhig zu bleiben.
Als wir losziehen, ist die Stadt völlig überfüllt. Überall Touristen, die sich im Schneckentempo bewegen. Es ist schrecklich frustrierend. Roseanne ist es egal, sie liebt die Fifth Avenue. Doch als ich dann die Weihnachtsbäume im Rockefeller Center sehe, breitet sich auch in meiner Brust ein warmes Gefühl aus. Schließlich ist Weihnachtszeit, trotz all der Touristen ist es zauberhaft.
Meine Schwester versucht mich zum Schlittschuhlaufen zu überreden, obwohl sie meine Aversion gegen körperliche Aktivität kennt. Sie und Roseanne bilden jetzt ein Team gegen mich, und nach einer Stunde Anstehen kurve ich auf der Eisbahn rum, wobei ich mich immer wieder am Geländer festklammern muss. Roseanne und Monica sind damit beschäftigt, in der Mitte der Fläche elegante Kurven zu ziehen. Gelegentlich erinnern sie sich an mich, laufen zu mir und versuchen mich zu überreden, das Geländer loszulassen, aber ich weigere mich. Ich bewege mich stetig an der Wand entlang und laufe
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