Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
starrte aus dem Fenster. »Beim ersten Weltkrieg … da hatte ich geglaubt, einen Grund zu sehen. Da haben wir nach dem Krieg geradezu gezittert, wir jungen Leutnants. Wir wären bitter enttäuscht gewesen, wenn es keinen Krieg gegeben hätte. 1939 war es anders. Wir haben nicht darauf gewartet … aber wir sahen als Offiziere die ungeheure Chance, die Spitze der Welt zu sein. Ein gewonnener Krieg bedeutete für Deutschland wirklich das tausendjährige Reich.« Schütze sah den Werkmeister Schwarz groß an. »Ich gestehe es … es ist meine Schuld: Ich habe fest daran geglaubt. Ich habe es allen gesagt: Die Größe unserer Nation ist nicht mehr überbietbar –«
    »Ihr Untergang auch nicht.«
    »Das haben wir gewußt –, aber wir wollten uns vor dieser Wahrheit verschließen. Wir waren hypnotisiert von der Macht. Das ist unsere geschichtliche Schuld. Wir haben zu eingehend gehört, aber zuwenig gedacht. Und heute fragt man sich: Wofür?«
    Anton Schwarz erhob sich. »Es ist eben alles Mist. Die ganze Politik. Man sollte die Menschen arbeiten und leben lassen, man sollte Handel treiben und jeden, der mit einer politischen Idee kommt, die anders lautet als Frieden und Freundschaft und gemeinsames Leben sofort an die Wand stellen. Sofort. Ehe er mehr spricht als zehn Sätze. Denn immer wieder wird es Idioten geben, die aus diesen zehn Sätzen eine Weltanschauung machen und die Welt damit zugrunde richten.«
    Er klopfte Schütze auf die Schulter und drehte dann wieder zwei Zigaretten. »Zunächst bleiben Sie also hier, Herr Oberstleutnant. Das ist klar.«
    »Ich habe kein Geld. Ich muß etwas verdienen …«
    »Das sollen Sie. Ich werde mit dem Chef sprechen. In der Spulerei können wir einen Lageristen gebrauchen. Wie wär's damit?«
    »Ich nehme alles an, Herr Schwarz …«
    »Lohn: Die Woche 50 Mark.«
    Schütze nickte. »Ich will alles, nur Ihnen nicht auf der Tasche liegen.« Er sah zu Schwarz wie ein getriebenes Reh auf. »Vielleicht bietet sich einmal die Gelegenheit bei einer Versicherung. Auch die Behörden müssen ja wieder aufgebaut werden … Ich werde Ihnen bestimmt nur kurze Zeit zur Last fallen –«
    »Nun reden Sie mal nicht, sondern suchen Se erst mal Ihre Frau und die Kinder.« Schwarz sah auf die Uhr. »Ich muß in die Fabrik. Bis zum Abend denn, Herr Oberstleutnant …« Er drückte Schütze zum Abschied noch die gedrehte Zigarette in die Hand, nahm seine Aktentasche mit dem blechernen Eßgeschirr und ging aus dem Zimmer.
    Mit zitternden Händen steckte sich Schütze die Zigarette an. Der Kaffee gluckerte in seinem leeren Magen. Er hatte nur ein Brötchen gegessen. Er kam sich schäbig vor, den Schwarzens ihre Brotmarken zu verfressen.
    Man sollte sich erschießen, dachte er plötzlich. Wenn man wüßte, daß Amelia und die Kinder nicht mehr lebten … wirklich, es wäre die beste Lösung. Was war denn das Leben noch wert? Warum und wofür sollte man weiterleben? Weil es ein Leben war, das von Gott gegeben war? Wo war denn Gott, als Millionen junger Menschen sterben mußten? Sinnlos sterben?! Menschen, die sich ans Leben klammerten.
    Heinrich Emanuel Schütze zerdrückte die Zigarette zwischen den Fingern. Er spürte nicht, daß er sich die Fingerkuppe an der Glut verbrannte.
    Weggehen, wenn Amelia und die Kinder nicht mehr leben. Das war kein Gedanke mehr … es war ein Entschluß …
    *
    Im Lager Hohenfels lebte unterdessen die Familie Schütze in einer Box von 3x3 Metern. Sie bestand aus Brettern. Es gab in der Turnhalle, die man so umgebaut hatte, sechsundzwanzig solcher Boxen. Als Eingangstür zu den schmalen Fluren dienten drei aneinandergenähte Decken. Die Einrichtung bestand aus drei Betten mit Strohsäcken, einigen Decken, ein paar Nägeln, an denen die Kleider hingen, einer Blechwaschschüssel und einer Blechwasserkanne, fünf Blechtassen, fünf Steinguttellern und einem alten, verbeulten Aluminiumkochtopf. Das Essen bekamen sie aus der Gemeinschaftsküche, die Zuschüsse der Besatzungstruppen erhielt.
    Giselher-Wolfram hatte gleich nach der Flucht aus Berlin versucht, Arbeit zu bekommen. Immer zierlich, sah er mit seinen siebenundzwanzig Jahren wie ein alter Mann mit einem Kinderkopf aus. Seine schwere Verwundung hatte ihn untauglich für schwere körperliche Arbeit gemacht. Sein großer Wunsch, Medizin zu studieren, war eine Illusion geblieben. Er gehörte zu jener Generation, die der Krieg vernichtete, als sie gerade dabei war, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Jetzt, am Ende der

Weitere Kostenlose Bücher