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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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genug sah er ja aus.
    *
    Von Amelia hatte er nichts mehr gehört. Ob sie den Russen entgangen war, ob sie in Berlin geblieben war, ob sie überhaupt noch lebte … er wußte es nicht. Die deutschen und alliierten Stellen des Roten Kreuzes waren mit Hunderttausenden Anfragen überfüllt. Schütze hatte auch hingeschrieben, aber eine Hoffnung, Nachricht zu bekommen, hatte er nicht.
    Nach neun Monaten – im Februar 1946 – wurde Oberstleutnant Schütze aus der Gefangenschaft entlassen. Als man ihn fragte, welchen Entlassungsort er angeben wollte, hatte er lange gezögert. Nirgends war er zu Hause. In Schlesien saß der Russe, in Rummelsburg exerzierten Mongolen, in Berlin bestand nichts mehr, was ihm gehörte, in Köln hatte er keinen Bekannten mehr. Da nannte er Detmold.
    In ihm hatte er sich immer wohlgefühlt. Hier hatte er eine glückliche Zeit verlebt. Vielleicht erinnerte man sich noch an ihn, den Hauptmann Schütze. Der Werkmeister Anton Schwarz vielleicht, der Kommunist. Oder der Architekt Hubert Nüssling, der ihm das Buch ›Mein Kampf‹ geliehen hatte. Vielleicht lebten die Söhne Ewald und Hugo noch, die Christian-Siegbert das Leben retteten. Damit er es in Rußland verlor –
    Mit einem Pappkoffer, den er sich in Hamburg gekauft hatte, fuhr Schütze nach Detmold. In dem Pappkoffer war alles, was er besaß. Zwei Hemden, zwei Unterhosen, ein Paar Schuhe. Auf dem Leib trug er seine auf Zivil von einem Camp-Schneider umgeänderte Uniform und den Offiziersmantel ohne Spiegel und Schulterstücke.
    Nach den riesigen Trümmerwüsten der Großstädte empfand Schütze trotz der Ruinen die kleine Stadt Detmold immer noch als eine Oase des Friedens und der Zuflucht.
    Auf dem Bahnhof beachtete ihn niemand. Es kamen soviel Heimkehrer an, die keiner kannte. Es gab so viele Flüchtlinge in der Gegend, daß es auf einen mehr gar nicht ankam. Langsam ging Schütze, seinen Pappkoffer ab und zu in den Händen wechselnd, zu dem Doppelhaus hinter dem Stadttheater. Hier wohnte einmal Architekt Hubert Nüssling, der Nazi.
    Das Haus war halb zerstört. In die zweite Etage hatte man ein Notdach eingezogen. Das Schild Mißlingens war abmontiert. Man konnte noch sehen, wo die Schrauben gesessen hatten.
    Heinrich Emanuel klopfte solange an die Haustür, bis eine Frau öffnete.
    »Ich hab auch nur meine kleine Brotzuteilung«, sagte sie sofort nach einem Blick auf den Pappkoffer. »Gehn Sie mal zur Volksschule. Da ist'n Auffanglager. Da gibt's was zu essen.«
    Schütze schüttelte den Kopf. »Ich wollte nur fragen, wo Herr Nüssling jetzt wohnt.«
    »Die Nüsslings? Sind Sie'n Bekannter von denen? Oder Verwandter?« Die Frau rieb die Hände an ihrer Schürze. »Tja – die Nüsslings. Der Sohn, der Hugo, der ist ja gefallen. In Afrika, beim Rommel. Und der alte Nüssling ist dann Kreisleiter geworden. Am 21. Juli 1944 – wissen Sie – haben sie ihn Knall auf Fall abgeholt. Ist nicht wiedergekommen. Da ist die Frau Nüssling weg aus Detmold. Wohin … das weiß keiner.«
    »Danke.« Heinrich Emanuel grüßte und ging weiter. Der Ort, wo er Frieden suchen wollte, war plötzlich wie alle Orte in Deutschland. Das Leid war nirgends stehengeblieben … es kam in die kleinste Hütte.
    Draußen, in der Siedlung am Stadtrand, war keine Bombe gefallen. Das Haus Nr. 39 stand noch. Etwas verwittert, mit längst anstrichfälligen Fenstern. Aber im Garten stand der Grünkohl, und die Obstbäume waren groß und breitkronig geworden.
    Auch Anton Schwarz lebte noch. Der Werkmeister. Er erkannte Schütze nicht gleich wieder, als er die Tür öffnete. Aber dann flog ein Leuchten über die runzeligen Züge.
    »Der Herr Hauptmann –«, sagte er. »In Detmold. Wie kommt denn das?«
    Er zog Schütze in die kleine Diele, nahm ihm den Mantel ab und wußte plötzlich, daß er auf seine Frage keine Antwort mehr brauchte.
    »Kommen Sie.« Er riß die Tür zum Wohnzimmer auf und rief: »Julia! 'nen Kaffee. Stark! Der Hauptmann Schütze ist da. Oder was sind Sie jetzt?«
    »Oberstleutnant. Aber das war einmal.«
    »So hoch sind Sie geklettert?« Anton Schwarz setzte sich Schütze gegenüber auf das Sofa. »Man fragt ja nicht danach, aber –«
    Schütze nickte und hob müde die Schultern. »Ich bin ganz allein. Wo meine Frau und die Kinder sind – ich weiß es nicht. Ich habe keine Heimat mehr, keine Wohnung, gar nichts mehr. Nur noch den Pappkoffer. Ich könnte mich in den Straßengraben legen und sagen: Ich bin zu Hause. Es würde stimmen …«
    »Tja, der

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