Manöver im Herbst
viel hat man von diesen Franktireurs gehört, so viel habe ich schon selbst von ihnen erzählt. Kälte stieg in ihm auf, sie griff ans Herz und nahm ihm den Atem. Als er stehenbleiben wollte, stieß man ihn wieder in den Rücken.
Da stolperte er weiter. Sein keuchender Atem wehte in weißen Wolken vor ihm her. Amelia, dachte er. So ist das Ende. Was hast du gesagt, als ich in Goldap Abschied nahm und dir den Blumenstrauß unter die Achsel klemmte? »Was kümmern mich Bündnisse und Verträge, was geht mich der Krieg an … ich will nur dich behalten.« – Vielleicht hattest du recht … ich werde nicht wiederkommen, der Krieg wird weitergehen, wie ich werden noch Tausende sterben, und sie alle werden Angst haben, ganz gemeine Angst … wie ich …
Vor einer halb niedergebrannten Scheune blieben sie stehen. Aus einem zerschossenen Kamin qualmte es leicht. Die Hütte war bewohnt.
Einer der Freischärler stellte Heinrich Emanuel an die durch Einschläge zerfetzte Wand. Die anderen betraten das Haus. Stimmen schlugen ihnen entgegen, ein Hauch von Wärme wehte Schütze einen Augenblick an, als sich die Tür öffnete. Er sah sich um. Hügeliges Gelände, mit Baumgruppen und Büschen bewachsen. Die Hütte lag in einer Senke. Hier war es einsam. Vielleicht wogten im Sommer hier die Kornfelder. Unter dem Schnee ahnte er an den flachen Hängen die Weinstöcke. Sie waren vom Krieg weggefegt worden. Die Champagne, das sektfrohe Lachen Frankreichs, war gestorben.
An dieser zerschossenen Hauswand würde er sterben, das war sicher. Es war nur eine Frage von Minuten, bis die anderen aus der Hütte herauskamen und ihn erschossen.
Er strich sich mit zitternden Händen übers Gesicht und sah auf die drei Männer, die jetzt aus der Hütte kamen. Sie musterten Oberleutnant Schütze finster, nickten ihm zu, mitzukommen und gingen zurück ins Haus. Heinrich Emanuel folgte ihnen. Die Hitze, die ihm entgegenschlug, war wie ein Schlag in sein vereistes Gesicht.
Um einen roh zusammengezimmerten Tisch saßen einige Männer, rauchten, tranken einen milchigen Schnaps und schwiegen sofort, als Schütze in die Hütte trat. Einer von ihnen hielt dem Oberleutnant eine Zigarettenschachtel hin.
»Rauchen Sie?«
»Danke –« Heinrich Emanuel nahm eine Zigarette. Er war nie ein starker Raucher gewesen. Diese Zigarette mit ihrem fast schwarzen Tabak erzeugte einen Hustenreiz bei ihm. Er krümmte sich, keuchte, Tränen traten in seine Augen … Die letzte Zigarette, dachte er. Die Henkersmahlzeit … langsam rauchte er den starken Tabak weiter. Wie lange dauert eine Zigarette? Er sah zu, wie sie abbrannte, viel zu schnell. Mit jedem Millimeter Asche verbrannte sein Leben. Vier … sechs Minuten … solange sie brannte, würde man nicht schießen, würde er noch leben.
»Sie wissän, was Sie erwarten?« fragte der eine Franktireur wieder.
Oberleutnant Schütze nickte. »Ja«, antwortete er mit schwerer Zunge.
»Wollen Sie noch an Ihre Angehörigen schreiben? Wir führen einen humanen Krieg. Wir versprechen Ihnen, den Brief zu befördern.«
Heinrich Emanuel Schütze dachte an Amelia, an seine Mutter, den Vater. Er schüttelte den Kopf.
»Machen Sie es kurz«, sagte er heiser.
»Schreiben Sie lieber. Dann wissen Ihre Angehörigen, was mit Ihnen geschehen ist. Sonst gelten Sie als vermißt. Das ist schlimmer als tot. Sind Sie verheiratet?«
»Ja –«
»Bitte –« Der Franktireur schob ihm über den Tisch ein schmutziges Stück Papier und einen Bleistiftstumpf zu. »Schreiben Sie nur: Wenn dieser Brief ankommt, bin ich tot. – Weiter nichts. Keine Angaben. Abschiedsgrüße natürlich … Sie sehen, wir können gut deutsch.«
»Ich –« Oberleutnant Schütze setzte sich steif. Er war wie gelähmt vor Angst. »Warum tun Sie das –«
»Schreiben!« schrie der Franktireur.
Oberleutnant Schütze beugte sich über das schmutzige Fetzchen Papier, nahm den Bleistiftstumpf und schrieb.
Er begriff selbst nicht, daß es Buchstaben und Worte waren, die unter seinen zitternden Fingern entstanden.
*
Beim Divisionsstab herrschte gedämpfte Erregung.
Daß es in der Gegend von Courémont Franktireurs gab, war bekannt. Eine Feldjägereinheit war bereits mit der Aufspürung und Vernichtung der unsichtbaren Terrortruppe beauftragt. Daß jemand an der Front, vor allem beim Angriffskrieg vermißt wurde, war ebenfalls nichts Außergewöhnliches. Daß aber ein deutscher Offizier am hellen Tage auf einem Spazierritt spurlos verschwindet, regte doch zu
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