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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Sie erreicht haben. Gute Nacht.«
    »Gute Nacht«, sagte der Major leise. Er stand stramm bis der Divisionskommandeur das Zimmer verlassen hatte. Dann ging er zur Karte, übertrug den im Schreiben angedeuteten Standpunkt der Übergabe Schützes auf seine eigene Karte und verließ dann schnell den Kartenraum.
    Gegen Morgen begann auf dem gesamten Abschnitt erneut das Artilleriefeuer der Franzosen. In sieben Wellen stürmten sie heran, vor Beginn des Frühlings den Durchbruch zu den Vogesen noch zu erzwingen. Sie brachen zusammen im Feuer der deutschen schweren Maschinengewehrkompanien und der Granatwerfer.
    Das Schicksal Oberleutnant Schützes ging unter im neuen französischen Angriff. Wo Tausende fallen, kommt es auf einen mehr oder weniger nicht mehr an. Der Krieg macht gleichgültig. Es gibt eigentlich nur einen Gedanken, der alles beherrscht: Überlebe selbst.
    Mit Einbruch der Dunkelheit stand es fest: Der französische Angriff war liegengeblieben. Die Stellungen waren gehalten worden. Einbrüche wurden mit Handgranaten bereinigt. Die Schlacht verschob sich einige Kilometer rückwärts. Dort standen die Ärzte auf den Hauptverbandsplätzen vor einem stöhnenden und wimmernden Heer und operierten und verbanden, bis sie vor Müdigkeit umfielen.
    Gegen 10 Uhr abends, als der General zu einem Gedankenaustausch zur Nachbardivision abfuhr, als der Stab erschöpft in die Betten kroch und nur noch die Kuriere einliefen mit den ersten zusammenfassenden Verlustmeldungen der Bataillone, erinnerte sich der Major und Ia des Stabes an das Vorhandensein eines auf seinen Tod wartenden Oberleutnants Schütze.
    Eindreiviertel Stunden noch … und weder die Armee hatte geantwortet, noch war der Divisionskommandeur zu einem eigenen Entschluß gekommen. Er war weggefahren. Er war stolz auf den abgeschlagenen Angriff. Seine Gedanken waren so lang wie sein Verteidigungsabschnitt. Einige zehn Kilometer. In dieser Weite verlor er den Oberleutnant Schütze aus dem Blickfeld.
    Der Major sah noch einmal auf seine Uhr. Dann ergriff er seine Kartentasche, ließ sich Mantel, Pistole und Helm bringen, umwickelte seine Ohren mit einem Wollschal gegen die Kälte und setzte sich in einen kleinen Trainwagen, der der Divisionsküche gerade neue Konserven gebracht hatte.
    »Nach Courémont!« befahl er dem Fahrer. »Und holen Sie aus der Mähre heraus, was Sie können.«
    »Die Straße nach Courémont ist total vereist, Herr Major.«
    »Wenn auch.« Der Major schwang sich neben dem Fahrer auf den Sitz. »Dann rutschen wir eben hin.«
    *
    Unter einem Strohballen, auf den Brettern eines Bauernwagens, lag Heinrich Emanuel Schütze. Er fror erbärmlich, denn wenn das Stroh über ihm auch wärmte … von unten, durch die Ritzen der Bretter, fegte der Eiswind über seinen Körper.
    Daß er noch lebte, betrachtete er als ein Wunder. Als er am vergangenen Tag seinen Abschiedsbrief an Amelia geschrieben hatte, als man ihn wieder aus dem Haus führte, hatte er mit allem abgeschlossen. Er hatte vordem nie geglaubt, daß man dem Sterben so gleichgültig gegenüberstehen kann. Zwar empfand er eine wahnsinnige Angst, seine Beine waren wie knochenlos und trugen den Körper kaum, so daß ihn zwei der Franktireurs stützen mußten … aber das Unabwendbare seines Schicksals war so klar, daß er weder jammerte, noch um Gnade flehte, noch um sich schlug … wie ein Schlachttier ließ er sich aus dem Raum schleifen.
    Um so verwunderlicher war das, was man draußen mit ihm tat. Er wurde auf einen Bauernwagen, der hinter der halbzerstörten Scheune in einem Schuppen stand, verladen, gefesselt, geknebelt, und rollte dann mit verbundenen Augen durch den knirschenden Schnee.
    Sie werden mich zu einer Grube fahren, wo mich keiner jemals finden wird, dachte er. Sie machen gründliche Arbeit.
    Am Abend lebte er noch immer. Er saß in einem Keller, hatte warmes Essen bekommen, eine Gemüsesuppe mit Stockfisch. Sie schmeckte abscheulich, aber er hatte Hunger und aß sie in wenigen Minuten auf. Dazu bekam er ein Stück glitschiges Brot. Es lag die Nacht über in seinem Magen wie ein Stein, aufgequollen von der Suppe und hart, als sei es mit Gips gebacken worden.
    In diesem Keller verlor er die Zeit. Er wußte nicht mehr, ob es noch Tag war oder Nacht. Er schlief erschöpft auf einer alten Decke, auf die man Stroh geschüttet hatte, aß dann – war es Mittag oder Morgen oder schon wieder Abend? – zwei Schnitten Brot mit einer Rübenmarmelade und verstand nicht mehr, daß man

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