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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ihn nicht längst erschossen hatte.
    Drei Männer schreckten ihn aus einem neuen Schlaf auf.
    »Allez!« sagten sie laut. Das war übrigens das einzige Wort, das man zu ihm sprach. Allez. Er wurde aus dem Keller geführt, und bevor man ihm die Augen wieder verband, sah er, daß es wieder Nacht war. Dann führte man ihn hinaus, die Kälte durchschüttelte seinen Körper, jemand half ihm auf einen Wagen, er mußte sich unter Stroh legen, auf die vereisten Bretter, durch deren Ritzen der Wind pfiff. Er hörte Pferde schnauben, einige Stimmen, ein Rütteln ging durch den Wagen … er fuhr … langsam, schaukelnd, stoßend …
    Heinrich Emanuel Schütze lag unter dem Stroh und hauchte seine Hände an. Er konnte die Finger kaum bewegen, so steif gefroren waren sie.
    Wenn ich irgendwo mit ihnen anstoße, brechen sie glatt ab, dachte er. Da legte er die Hände auf den wärmenden Mund und lag ganz still …

4
    Wie lange er so gelegen hatte, wußte er nicht. Als man die Strohbündel von ihm wegnahm, sah er sich wieder an einer Stelle des Kanals. Hinter ihm führte eine Bahnlinie durch ein hügeliges Gelände. Zehn finster blickende, vermummte Männer, mit Karabinern in den Händen und Pistolengürteln um den langen Mänteln, standen in einem Halbkreis im Schnee, als Heinrich Emanuel herangeführt wurde.
    Vor diesem Halbkreis standen ein deutscher Offizier, ein deutscher Soldat und ein anderer französischer Zivilist.
    »Werden noch mehr erschossen?« fragte Oberleutnant Schütze einen seiner Begleiter.
    »Allez.« Wieder dieses eine Wort. Heinrich Emanuel Schütze stapfte durch den Schnee. Vier Meter vor dem Offizier blieb er stehen. Es war ein Major. Verwundert sah er, daß dieser hellrote Streifen an den Hosen trug. Generalstab. Der Zivilist neben ihm war an den Händen gefesselt.
    »Sind Sie Oberleutnant Schütze?«
    Eine Stimme riß den Kopf Schützes hoch. »Jawohl, Herr Major«, stammelte er. Er wollte auf ihn zutreten, aber die beiden Franktireurs hielten ihn fest.
    »Hat man Sie mißhandelt?« fragte der Major steif.
    »Nein.«
    »Haben Sie unter Zwang gestanden? Wurden Sie menschlich behandelt?«
    »Ja. Nur der Frost ist schrecklich. Ich glaube, ich bin halb erfroren.«
    Der Major wandte sich an den Zivilisten neben sich und löste dessen Handfesseln. Dann winkte er zu den zehn stummen Männern hinüber und grüßte lässig.
    »Bitte, nehmen Sie Ihren Charles Bollet in Empfang.«
    Oberleutnant Schütze begriff plötzlich, was hier in der Schnee-Einsamkeit vollzogen wurde. Er ging mit staksigen Beinen auf den Major zu. Plötzlich hatte er eine unbändige Lust, zu weinen. Der Druck, das ständige Warten auf den Tod, die Bereitschaft, äußerlich gleichgültig vor das Erschießungspeleton zu treten, fielen ab. Was übrigblieb, war ein zitterndes Bündel Haut, Muskeln und Knochen. Die Nerven schrien auf.
    In der Mitte des Halbkreises begegneten sich Charles Bollet und Oberleutnant Schütze. Sie sahen sich an. Jeder von ihnen hatte das Leben wiederbekommen.
    Bollet blieb vor Schütze stehen und streckte ihm die Hand hin.
    »Beaucoup de bonheur –«, sagte er mit bebender Stimme.
    Heinrich Emanuel Schütze nickte. Er bekam keinen Ton mehr aus seiner sich zusammenkrampfenden Kehle. Er wollte die Hand ergreifen, aber er griff daneben, zwei- dreimal … dann fiel er in den Schnee, vor die Füße des hinzu springenden Majors.
    *
    Der Divisionskommandeur erblaßte, als am nächsten Morgen sein Ia den befreiten Oberleutnant Schütze im Kartenzimmer vorstellte. Er rang nach Luft, stützte sich massig auf den Kartentisch und starrte von dem Major zu dem bleichen Heinrich Emanuel und schnaufte tief auf.
    »Das ist unerhört«, sagte er endlich leise. »Wenn das beim Chef des Stabes bekannt wird, wenn das überhaupt publik wird … wissen Sie, was das bedeutet, Herr Major?«
    »Ich habe nach meinem Gewissen gehandelt, Herr General.«
    »Bollet war das Haupt der gesamten Franktireurs des Gebietes.«
    »Das Leben eines deutschen Offiziers ist mir wertvoller.«
    »Es geht um taktische Erwägungen!« schrie der Generalmajor. »Natürlich ist es schön, daß Oberleutnant Schütze wieder unter uns steht … aber vielleicht hätte sein Opfer uns die ganze Organisation in die Hände gespielt. Darum geht es. Wir leben in Feindesland, das vergessen Sie anscheinend, meine Herren? Sie denken an Humanität, und von hinten werden unsere Trainleute ermordet. Und dieser Bollet war der Anführer.«
    »Wenn Herr General befehlen, gehe ich wieder

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