Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
wurde hingestellt, als sei es die letzte Geste eines hinterrücks Gemeuchelten.
    Für Heinrich Emanuel Schütze war dies alles nur ein schwacher Trost. Seine Welt war zusammengebrochen. Der Kaiser hatte den Krieg verloren. Fast zwei Millionen Tote waren die Bilanz eines verbluteten Volkes. Daß aber die Armee von innen heraus auseinanderbrach, daß man Offiziere schlug, das war für Heinrich Emanuel die letzte Stufe des Niedergangs.
    Er fuhr am nächsten Tag sofort zur Armee und meldete den Vorfall. Er sagte nichts Neues. Die Frontgruppen begannen, aus der befehlenden Hand zu gleiten. Man behielt Hauptmann Schütze gleich dort und beauftragte ihn mit der Rückführung einer regimentsstarken Truppe in die Heimat. Am 21. November 1918 zog Hauptmann Schütze mit seiner Truppe über den Rhein bei Köln. Sein Befehl lautete, sich im Munsterlager zu melden.
    Es war ein Marsch durch Jubel und Haß. Durch Hunger und Enttäuschung. Sie wurden mit armseligen Tannenzweigen beworfen und mit handgroßen Dreckbrocken. Sie wurden mit Fäusten bedroht, oder man winkte ihnen schamhaft zu.
    Überall gab es die Soldatenräte. Hinter Köln wäre es fast zu einem Gefecht mit revoltierenden Soldaten gekommen. Nur die Tatsache, daß Schütze siebzehn Maschinengewehre mit sich führte, verhinderte ein letztes Blutvergießen auf deutschem Boden.
    An diesem Tage schrieb Heinrich Emanuel an seine Frau Amelia:
    »Der Geist Preußens ist verraten worden. Wenn es jemals möglich ist, so werde ich meine ganze Kraft einsetzen, daß die Tradition des deutschen Soldaten und Offiziers wieder zu der Ehre kommt, die ihr gebührt. Ich habe noch nie so stark wie in diesen Wochen gespürt, wie stolz ich bin, Soldat zu sein. Jetzt, wo unser Volk zu Boden liegt, haben wir eine Aufgabe: Rache für die Schande der deutschen Niederlage …«
    Vorerst aber kam Hauptmann Schütze nicht dazu, seine revanchistischen Gedanken weiter zu nähren. Er wurde entwaffnet, mußte seine Offizierswürde abgeben und sich sagen lassen, daß er jetzt Privatmann sei und hingehen und tun könne, was er wolle.
    »Haben Sie noch Forderungen?« wurde er gefragt. »Bekommen Sie noch Gehalt?«
    »Nein.« Schütze sah auf die Schreiber, die seine Entlassung buchten, als sei er ein ausgedienter Gaul. Trotz stieg in ihm hoch. Jetzt gerade, dachte er. »Doch. Ja. Vor neun Monaten hat man mir das EK I verliehen. Ich habe es noch nicht bekommen. Ich bestehe aber darauf.«
    »Bitte!« Der Schreiber sah Heinrich Emanuel achselzuckend an. »So was wie Sie stirbt wohl nie aus, was? Gehen Sie mal nebenan ins Zimmer.«
    Hauptmann a.D. Schütze verließ hocherhobenen Hauptes das Entlassungszimmer. Er wurde in einen Nebenraum geführt. Dort stand auf langen Tischen eine Reihe Pappkartons. Heeresseife stand auf ihnen. Der Soldat mit der roten Binde grinste und machte eine umfassende Armbewegung.
    »Bitte, sich zu bedienen –«
    Schütze trat an die Kartons heran. Sie waren randvoll.
    »Nehmen Sie sich schon so eine Klamotte!« schrie der Soldat an der Tür. Hauptmann Schütze griff in eine Kiste und nahm ein EK I heraus. Er steckte es an seine Brust. Fast liebkosend fuhr seine Hand darüber.
    »Na? Zufrieden?« schrie der rote Soldat.
    Ohne Antwort verließ Heinrich Emanuel das Zimmer und das Haus. Er ging hochaufgerichtet, mit durchgedrücktem Kreuz, so, als schritte er eine Parade ab.
    Das Eiserne Kreuz schaukelte auf seiner Brust. Hunderttausende haben ihr Leben dafür gelassen, dachte er. Auch für sie trage ich es. Sie sind umsonst gefallen, aber ihr Andenken soll rein bleiben.
    Als er auf die Straße trat, sah man ihn verwundert an.
    Dann riß man ihm das EK I von der Brust und warf es in die Gosse.
    Halbwüchsige waren es, verwildert und fanatisch. Johlend.
    Ihre Väter lagen in Massengräbern in Flandern oder an der Somme, bei Soissons und Cambrai.
    Heinrich Emanuel konnte es nicht begreifen. Er blieb auf der Straße stehen und weinte.
    Er war fünfundzwanzig Jahre alt.

6
    Zwei Tage blieb er im Lager und versuchte, Verbindung mit Breslau und seiner Frau aufzunehmen. Einen Brief zu schreiben, betrachtete er als sinnlos. Alle Gleise der Eisenbahn waren verstopft durch rückflutende Truppen. Zum Teil sangen sie, weil der Krieg endlich beendet war, zum Teil marschierten sie, weil der Krieg endlich beendet war, zum Teil marschierten sie verbissen durch die Straßen, feldmarschmäßig, in vollen Waffen, mit allen Orden, so dreckig, wie sie aus den Schützengräben herausgeholt worden waren. Um

Weitere Kostenlose Bücher