Manöver im Herbst
»Diesem Wunsche kann ich nicht nachkommen, Herr Reichspräsident. Sie gehören dem ganzen deutschen Volke …«
Im mittleren Turm des riesigen Mahnmals von Tannenberg ließ Hitler den toten Marschall beisetzen. Er tat es nicht aus Pietät …, er tat es aus Berechnung. Die letzten Frontkämpfer zog er mit dieser Geste auf seine Seite. Es war der letzte politische Mißbrauch, zu dem Hitler nun selbst den toten Hindenburg ausnutzte. Die dem Marschall zustehende Ehre floß als Aktivposten in seine demagogische Tasche.
Vorher aber, gleich nach dem Tode Hindenburgs, erging der Befehl, eine neue Vereidigung des Heeres vorzunehmen. Der neue Eidestext war schon lange vorbereitet gewesen und wurde nun aus dem Panzerschrank herausgenommen.
Im Stahlhelm standen die Offiziere in einem weiteren Viereck auf dem Hof der Heeresleitung in der Bendlerstraße. General Müller verlas die Eidesformel. Im dumpfen Chore sprachen die Offiziere die Worte mit. Worte, die sie in ihrer vollen Tragweite erst später begreifen lernten. Worte, die sie auf alle Zeiten wehrlos machten im eigenen Denken:
»Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, daß ich dem Führer des deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem Oberbefehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.«
Nach der Vereidigung rannte Heinrich Emanuel Schütze in sein Zimmer, riß sich den Stahlhelm vom Kopf und setzte sich blaß auf den Stuhl. Er rief mit zitternden Fingern seine Frau an und brauchte einige Atemstöße, um sprechen zu können.
»Wir … wir sind soeben neu vereidigt worden«, sagte er leise. »Auf Adolf Hitler persönlich … und … und …« er würgte an den Worten … »er nennt sich ›Oberbefehlshaber der Wehrmacht‹ … Ein … ein Gefreiter … Amelia …«
»Und du hast geschworen?« fragte Amelia.
»Was bleibt mir anderes übrig? Alle haben geschworen. General Müller, Oster, Fritsche, Blomberg, Reichenau, Beck, alle, alle. Begreifst du das?«
»Nein. Doch ja! Wenn sie alle so sind wie du …«
Heinrich Emanuel unterbrach das Gespräch. Er kam sich elend vor und drückte die Telefongabel herunter.
Das Begräbnis des toten Marschalls war ein Feiertag des ganzen deutschen Volkes. Aus Hunderttausenden von Fenstern wehten die schwarz-weiß-roten Fahnen auf Halbmast. Aber sie hatten eine andere Form bekommen, die Fahnentücher. Rot war der Grund, weiß war ein großer Kreis und in ihm stand schwarz ein Hakenkreuz.
Auch Hauptmann Schütze wurde abkommandiert. Mit einigen hundert anderen Offizieren sollte er das Ehrenspalier bilden, durch das man den Sarg Hindenburgs in die Gruft des mittleren Turmes des Tannenberg-Ehrenmales trug. In der ersten Reihe sollte er stehen, direkt am Turmeingang, vor den riesigen, aus Sandstein gehauenen soldatischen Wächtern.
Die Fahrt durch Ostpreußen weckte Erinnerungen in ihm auf, die er längst vergessen glaubte.
Seine Versetzung 1914 nach Goldap. Die Jagden in der Rominterer Heide. Die Flitterwochen mit Amelia im Schneesturm. Die neue Wohnung, die kaum von den drei Öfen warm gehalten wurde. Der Sturm, der damals über Ostpreußen heulte, war durch den Menschen unbesiegbar. Die Wochen in der Kaserne von Goldap mit dem mongolensichtigen Kommandeur, der später bei Verdun fiel. Der Auszug in den Krieg, den man in sechs Wochen gewinnen wollte. Die Flucht Amelias aus Goldap, als die russische Narew-Armee über die Grenzen Ostpreußens flutete …
Es war alles so weit weg, als er jetzt durch dieses Land fuhr. Es war wie der Blick in eine Welt, die man nur noch aus den Märchenbüchern kennt und von der man kaum begreifen kann, daß in ihr einmal Menschen lebten, die auch heute noch existieren.
Das Tannenberg-Ehrenmal wuchs aus der Ebene wie sechs in den Himmel gestoßene Fäuste. Lange schwarze Fahnen verhüllten die Türme. Dazwischen wehten die Hakenkreuzbanner und die Reichskriegsflaggen. Ein neues Heer ballte sich in und um das Ehrenmal. Stahlhelme, schwarze Uniformen, braune Käppis, schwarze Zivilanzüge mit Schulterbändern und Orden. Artillerie war auf dem Feld vor dem Mahnmal aufgefahren, um den letzten Salut zu schießen.
Alles war tagelang geübt worden. Jeder einzelne Mann stand an seinem genau vorgezeichneten Platz, es sollte ein großes militärisches Schauspiel werden. Die Presse der ganzen Welt sah zu.
Unter dem dumpfen Grollen hunderter Trommeln und dem donnernden Salut der Geschütze wurde der
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