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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Familie Schütze fuhr zum Begräbnis nach Trottowitz. Als Reservist der kaiserlichen Armee trug man Schützes Sarg die Traditionsfahne voraus. Eine Kapelle aus Mitgliedern des Steueramtes spielte einen Trauermarsch. Der Pfarrer sprach, der Steuerrat, der alte Baron und Heinrich Emanuel.
    »Am Grabe meines Vaters kommt mir erst zum Bewußtsein, was es heißt, ein aufrechter, treuer Mensch zu sein. Er war es zeit seines Lebens. Er hat noch das Glück gehabt, den Aufbruch seines geliebten deutschen Volkes zu erleben, die Morgenröte einer Nation, die Wiedererstarkung der deutschen Kraft und die schrittweise Wiedergutmachung der Schande von Versailles. Er starb in einer großen Zeit …«
    Nach dem Begräbnis, beim Essen auf dem Gut, nahm der alte Baron seinen Schwiegersohn zur Seite.
    »Wirst du bei meinem Tode auch eine Rede halten?«
    »Aber natürlich, Vater.« Schütze sagte es ahnungslos.
    »Wenn du den gleichen Unsinn sagst, komme ich aus dem Sarg und haue dir ein paar runter!«
    »Aber Vater!« Heinrich Emanuel wurde bleich. »Wir können doch nicht abstreiten –«
    »Schluß damit.« Der alte Baron ging zum Tisch. »Ich wünschte, in dir wäre noch etwas von dem Mumm des Fähnrichs, der im Manöver 1913 den Kaiser besiegen wollte.«
    »Damals sprachst du anders. Da nanntest du mich einen Idioten.«
    »Das ist das einzige, was sich nicht geändert hat.«
    Das Essen schmeckte Schütze nicht, obgleich es Puter, Rotkohl, Kartoffelbällchen und Sahnepudding gab. Auch die Zigarre nach dem Essen warf er halbgeraucht weg.
    Er war erleichtert, als er wieder im Zug nach Berlin saß. Seine Kinder hatten jedes ein dickes Paket in der Hand. Großvater Perritz hatte es ihnen in Breslau, wohin er die Familie begleitete, in einem großen Kaufhaus geschenkt: Für jedes Kind neue Kleidung.
    »Damit ihr nicht vergeßt, daß es außer brauner Uniform noch anderes gibt …«, sagte er dabei.
    Heinrich Emanuel ließ es geschehen. Man soll alten, starrköpfigen Männern nicht ins Wort fallen. Sie sind nicht mehr zu belehren. Im Zuge aber ordnete er an:
    »Diese Kleidung tragt ihr nur Sonntags.«
    »Aber am Sonntag tragen wir doch Uniform, Papa!« rief Christian-Siegbert. »Das Festkleid der Nation –«
    Schütze nickte wohlgefällig. »Ich weiß, ich weiß.« Er schielte zu Amelia hinüber. Sie saß am Fenster und starrte auf die vorbeifliegende schlesische Landschaft. »Ich wollte nur eurer Mutter einen Gefallen tun –«
    Meine Kinder, dachte er glücklich. Ihnen gehört die Zukunft der Nation. Sie werden in dem neuen Geist aufwachsen und einmal eine Welt regieren –
    *
    Der neue Geist kam ihnen entgegen.
    In Berlin schon wunderte sich Schütze, daß an allen Ecken bewaffnete Polizei stand, verstärkt durch SS und SA.
    Er ließ seine Familie allein nach Hause fahren und raste mit einer Taxe zur Bendlerstraße. Dort empfing ihn ein Massenaufgebot von Offizieren. Erregte Debatten schwirrten durch die Räume. Nur Sprachfetzen schnappte Schütze auf, als er zu General Müller eilte. Revolution … Röhm … Schleicher … Papen … Hitler in Wiessee … die ganze SA …
    General Müller saß hinter seinem Schreibtisch. Er war bleich und starrte Hauptmann Schütze an, als komme mit ihm eine Gefahr in das Zimmer.
    »Sie haben mir noch gefehlt!« schnarrte er. »Durch Ihr sprichwörtliches Glück waren Sie im entscheidenden Augenblick wieder nicht da.«
    »Welcher Augenblick, Herr General?«
    »Ach – Sie wissen noch gar nichts? Gibt es denn so etwas auch? Die SA hat putschen wollen. Gegen unseren Führer. Hitler hat persönlich die gesamte obere SA-Führung verhaftet und erschießen lassen. Röhm, Ernst, Heines … und … und …« General Müller wischte sich über die Stirn … »und auch General v. Schleicher, General v. Bredow, Ritter von Kahr … Im Augenblick ist noch gar nichts zu übersehen. Es sollen über dreihundert Männer sein …«
    »Erschossen?« stammelte Schütze. »Schleicher –«
    »Mit seiner Frau –«
    »Und wir sitzen noch herum?« schrie Schütze.
    »Was sollen wir tun? Wenn der Führer mit reaktionären Elementen kurzen Prozeß macht, dann sollen wir –« General Müller schwieg. Zum erstenmal wich er dem Blick Schützes aus. Er verstand dieses stumme Anstarren. Er fühlte, daß man ihn als General ansprach. Als Kameraden des ermordeten ehemaligen Chefs der Reichswehr. »Gehen Sie, Herr Hauptmann«, sagte er hart. »Wir müssen warten …«
    In den Fluren erfuhr Heinrich Emanuel mehr. Der Chef der

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