Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia
erkannte sie, dass sie von einem goldenen Thron reflektiert wurden. Darauf saß ein hoch gewachsener Mann, der die Hände hinter dem Kopf verschränkt hatte und sich entspannt zurücklehnte. Er trug eine Krone, und an seinem Gürtel hingen zwei Pist o len. Er richtete sich auf und musterte Anna schweigend, und sie starrte zurück.
Sie starrte, weil dieser Mann aussah wie Ryan. Die Gesichtszüge waren fast dieselben, nur die Augen waren anders – selbst aus dieser Entfernung konnte sie sehen, dass sie durchdringend blau waren. Er strahlte eine k ö nigliche Aura aus, die Ryan überhaupt nicht besaß. Er stand jetzt auf, und die drei Soldaten verbeugten sich.
»Verneige dich vor dem König«, flüsterte Darius ihr zu. Als Anna zögerte, verpasste er ihr einen leichte Schlag gegen den Hinterkopf. Sie verneigte sich unwil l kürlich.
Die Augen auf Anna gerichtet, schritt der König nun auf sie zu. »Das ist also diejenige, über die Aldebaran geschrieben hat«, murmelte er. Dann zog er auf genau die gleiche Art und Weise die Brauen hoch wie Ryan, allerdings ohne dessen Humor. »Wo ist der Silbera d ler?«, fragte Lucien Ahira.
»Sie hat ihn nicht. Wir haben bereits …«
»Doch, sie hat ihn«, widersprach Darius.
»Ruhe!«, befahl Lucien und wandte sich wieder Ahira zu. »Bist du dir sicher?«
»Ja.«
Anna verstand nicht, warum er das sagte. Er war sich nicht sicher, konnte es nicht sein. Er hatte kaum ein Wort mit ihr gesprochen.
»Wir sollten sie durchsuchen«, schlug Darius vor. »Das ist der einzige Weg, um wirklich sicherzugehen.« Lucien nickte. Grinsend begann Darius, sie abzutasten, indem er seine Hände auf die Hintertaschen ihrer Hose legte und sie dann an ihren Beinen entlang nach unten gleiten ließ. Anna wich zurück.
»Sie hat ihn nicht«, sagte der junge Soldat. »Lass sie in Ruhe. Sie ist noch sehr jung und hat Angst vor dir.« Er war selbst nur ein paar Jahre älter als sie.
»Er hat Recht«, stimmte Lucien zu. »Manchmal muss ich mich schon über dich wundern, Darius. Hast du denn gar keinen Stolz?«
»Jetzt beruhigt euch.« Darius lachte und hob dabei die Hände.
»Sprichst du mit mir?«, verlangte Lucien zu wissen. »Das ist keine angemessene Art, mit mir zu sprechen.«
»Verzeihung, Majestät … Ich wollte nicht …«
»Es sei dir verziehen.«
»Ich dachte nur, Euer Hoheit«, wagte Darius den Vor stoß, »dass es vielleicht klug wäre, das Mädchen zu t ö ten. Sie ist Teil der Prophezeiung, oder etwa nicht?«
»Ich denke nicht, dass wir dem Volk eine eindeutige Botschaft übermitteln können, indem wir das Mädchen töten«, warf Ahira ein.
»Ich stimme dir zu«, sagte Lucien. »Der Silberadler ist real und solide. Wenn wir ihn hätten, wäre Aldebarans Prophezeiung bedeutungslos.«
»Majestät«, murmelte Darius, »unter der Folter würde das Mädchen uns vielleicht verraten, wo er ist.«
»Dafür haben wir keine Zeit.« Lucien hatte die Sti m me erhoben. »Hast du die Situation noch immer nicht begriffen? Der Präsident von Titanica hat seine halbe Armee an die alcyrische Grenze geschickt. Das gemeine Volk wird allmählich rebellisch. Wir müssen gegen zwei Feinde gleichzeitig kämpfen, und Talitha hat Besseres zu tun, als den Silberadler aufzuspüren – wegen einer Pr o phezeiung, die sich bewahrheiten könnte oder auch nicht.«
»Aber, Majestät! Wenn man versucht, zu viele Dinge auf einmal zu tun, kann es passieren, dass man am Ende gar nichts tut. Das hat Ahira Ihnen schon oft gesagt.«
»Sag mir nicht, was ich zu tun habe. Wenn wir das Volk unterdrücken, durchbrechen die alcyrischen Strei t mächte die Linien. Und wenn wir sie zurückschlagen, laufen wir noch immer Gefahr, dass sich das Volk gegen uns erhebt.«
»Dann haben wir vielleicht gar keine andere Wahl, als das Mädchen zu töten«, beharrte Darius.
»Nein!«, sagte Lucien. »Was soll das bringen? Nichts! Wir wollen nicht das Mädchen, wir wollen den Silbera d ler.«
»Aber hat sie ihn dem Prinzen schon gegeben?«
Ein kurzes Schweigen folgte, bevor Lucien wieder sprach. »Ich werde nichts unternehmen, solange ich nicht mit Talith a g esprochen habe.« Er überlegte kurz. »Sperrt das Mädchen in eine Zelle – benutzt einen leeren Raum, falls der Kerker voll ist. Gebt ihr weder zu essen noch zu trinken – wir brauchen sämtliche Vorräte für den Fall einer Belagerung. Ich werde Talitha fragen, was mit ihr geschehen soll.«
Ahira trat vor. »Soll ich sie runterbringen?«
»Ich werde das tun«, sagte
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