Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Titel: Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Banner
Vom Netzwerk:
Geschichte meiner Fam i lie.« Er stand auf und trat an Aldebarans Seite. »Wer hat sie geschrieben?«
    »Mein Neffe, Harold North. Ich habe sie Kapitel für Kapitel mittels meiner Willenskraft kopiert. Du weißt ja, dass ich sehen kann, was er schreibt.«
    »Er hat sie wie eine Legende geschrieben«, sagte der Junge. »Wie eine dieser alten Geschichten über Gut und Böse, die du mir früher immer erzählt hast.«
    »Er hat sie auf diese Weise verfasst, weil er die Me n schen dazu bringen wollte zuzuhören«, erklärte Aldeb a ran. »Er wird für dieses Buch leiden müssen, aber er hat es trotzdem geschrieben. Du weißt, dass diese Geschichte wahr ist. Du hast Lucien und seine Generäle und die mäc h tige Talitha gesehen. Du hast die Foltermale auf meinen Armen und Beinen gesehen.« Der Junge nickte. »Hier in England glaubte man früher, dass der König von Gott e r nannt sei. Das stimmt nicht. Es ist nichts als Z u fall, dass du als der Sohn des Königs von Maloni a g eb o ren wurdest. Doch in deinem Land gibt es Menschen, die d a für sterben würden, dich wieder auf dem Thron zu s e hen, und zwar zum einen wegen der Prophezeiungen, die dich umgeben, und zum anderen, weil dein Vater und dein Großvater das Land gut regiert haben und diese Menschen schon lange unzufrieden sind mit Lucien. Ich spreche von Menschen wie Harold North. Sie sind bereit, für dich zu sterben, und du wirst ihnen im Gegenzug dein Leben g e ben.«
    »Das ist der Grund, warum ich mich an Malonia eri n nern muss«, sagte der Junge wissend.
    »Morgen werde ich anfangen, dich zu unterrichten«, versprach Aldebaran. »Damit du nicht vergisst.«
     
    Das letzte Licht des Tages schimmerte auf Stirlings Haar. Er schien nicht bemerkt zu haben, dass ich aufgehört ha t te vorzulesen. Ich wischte mir mit dem Ärmel übers G e sicht und war fast froh darüber, dass er kaum mitzub e kommen schien, was um ihn herum vorging. Einfach so loszuweinen wegen irgendeiner Geschichte über das Buch meines Vaters!
    Es stimmte, dass er dafür gelitten hatte. Mit diesem letzten Kapitel war sogar der große Harold North zu weit gegangen. Sie hatten ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt und jedes royalistische Buch im Land verboten. Und hier w a ren wir nun, seine beiden Söhne, die er nicht mehr e r kannt hätte, und lasen sein Manifest der Freiheit. Dies waren die letzten Worte gewesen, die er geschrieben hatte, b e vor er uns für immer verlassen musste.
    »Ich glaube, du hattest Recht.« Ich wischte mir wieder über das Gesicht und versuchte, die Tränen aus meiner Stimme herauszuhalten. »Aldebaran ist nicht gestorben, und der Prinz auch nicht. Falls diese Geschichte wahr ist, haben sie in England weitergelebt.«
    Stirling hatte inzwischen seine Augen geschlossen, und ich wusste nicht, ob er mich hörte oder ob er schlief. Ich legte das Buch weg, nahm seine Hand und blieb still neben ihm sitzen, bis Großmutter zurückkam.
     
    »Ich habe dich sprechen gehört«, sagte Großmutter, als sie mit einem Teller Suppe für Stirling hereinkam. »Hast du ihm eine Geschichte erzählt, Leo?«
    Ich schüttelte den Kopf, dann ließ ich seine Hand los und stand auf. Stirling drehte sich kraftlos zu ihr um, als sie mich auf der Bettkante ablöste.
    Sie versuchte, ihm Suppe einzulöffeln, aber er erbrach sie sofort. Wir durchliefen dieses Prozedere etwa dreimal täglich, weil er bei Kräften bleiben musste. Er musste, sonst würde er die letzte Stufe der Krankheit nicht übe r leben, die Bewusstlosigkeit . Das war die nächste Stufe.
    Als ich mit dem ausgespülten Eimer wieder nach oben kam, fragte mich Großmutter: »Wirst du zur Kirche g e hen, Leo?«
    »Was?« Ich versuchte, mein Gehirn zum Arbeiten zu zwingen.
    »Wirst du zur Kirche gehen?«, wiederholte sie. »Um für Stirling zu beten.«
    »Du kannst gehen. Ich werde bei ihm bleiben.«
    »Nein, ich verlasse ihn nicht.«
    »Pater Dunstan betet bei jedem Gottesdienst für Sti r ling.«
    »Ich weiß, aber … bitte, Leo, bitte, geh hin …« Sie griff nach meinem Arm.
    »Bei jedem Gottesdienst«, sagte ich noch einmal. »Morgens und abends.«
    »Ich will, dass einer von uns da ist.«
    Ich war zu müde, um zu gehen, und ich war zu müde, um zu streiten. Also ging ich.
    Ich bekam nicht ein Wort von der Messe mit. Es war, als wäre ich von einer Glaswand umschlossen, die mich von jeder no rm alen Wahrnehmung abschirmte und alles seltsam, vage und traumartig machte. Nachdem der Go t tesdienst vorbei war, blieb ich sitzen, während

Weitere Kostenlose Bücher