Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia
Macht; die Macht der Freiheit. Aldebaran wusste, dass er um jeden Preis b e schützt werden musste. Er war Teil seiner Prophezeiung, und wenn Luden ihn fände, würde er ihn zerstören. Also versteckte Aldebaran den Talisman an einem Ort, wo ihn niemand aufspüren konnte.
Nach dem Tod seines Vaters war Luden Kalitz noch erbitterter entschlossen, die Macht an sich zu reißen. Es gab viele, deren Loyalität er erkaufen konnte. Er baute Fabriken für die Massenherstellung ausländischer Schusswaffen – Waffen, wie man sie in dieser Welt nie zuvor gesehen hatte. Er hatte sie von irgendwo weither ins Land gebracht und einige der klügsten Wissenschaf t ler beauftragt herauszufinden, wie sie funktionierten.
Eines Nachts erstürmte Luciens Armee die Burg. Es gab niemanden, der den ausländischen Waffen standha l ten konnte. Auf Luciens Befehl hin ermordeten seine So l daten den König und die Königin, die Luciens eigene Schwester war. Aber als sie zu dem Prinzen kamen, schreckten sie aufgrund der Prophezeiung zurück. Also brachten sie ihn stattdessen zu Luden. Luden wies T a litha an, den Jungen zu verbannen. Es wäre unklug g e wesen, ein unschuldiges Kind zu töten, das vom Volk so sehr geliebt wurde. Deshalb wurde der Prinz nach En g land, wo auch Aldebaran war, ins Exil geschickt. Der Lord Aldebaran nahm den Jungen unter seine Fittiche, um ihn zu einem würdigen Regenten Malonias zu erzi e hen.
Luciens Armee übernahm die Kontrolle über das Land, und er selbst erklärte sich zum Reichsverwalter. Weniger als ein Jahr später nannte ihn seine Regierung bereits König Luden. Er wandte sich von der Propheze i ung ab, verwarf sie, als wäre sie ein Scherz, und gab vor, unbesiegbar zu sein. Doch vielleicht erinnerte er sich manchmal an sie, denn andere hielte n s ie noch immer für wahr. Sie bedeutete ein Risiko für ihn. Er wusste, dass etwas unternommen werden musste, um ihre Erfüllung zu verhindern, damit die Menschen ihre Träume vergessen und der Wirklichkeit ins Auge sehen würden.
Luden wusste von dem mächtigen Talisman in Aldeb a rans Besitz, und er schickte seine Soldaten nach England, um den Silberadler zurückzuholen. Doch sie konnten den Talisman nicht finden, und die Folter hatte keine Macht über Aldebaran . Talitha wurde für den Krieg gebraucht, den Luden nun gegen Alcyria führte, und sie durfte ihre Kraft nicht darauf verschwenden, vergeblich nach dem Silberadler zu suchen.
Dann tauchte ein Gerücht auf: Der Prinz war nie in die Verbannung geschickt worden – man hatte ihn in der Nacht von Luciens Machtergreifung zusammen mit se i nen Eltern erschossen. Es gab Augenzeugen. Man hatte die Leiche eines Kindes gefunden, bei der es sich um die des Jungen handeln könnte. Das Gerücht verbreitete sich wie ein Virus über das Land. Die Prophezeiung geriet in Vergessenheit. Die Menschen begannen, Luden als König zu akzeptieren. Sie hörten auf, die Rückkehr des Prinzen herbeizusehnen. Man hatte das Volk in die Knie gezwu n gen. Es hatte keine Waffen, kein Geld, keine Macht, und es hatte keine Hoffnung. Und nun stellt sich die Frage, wer dieses Gerücht im Umlauf gesetzt hat …
Ich erzähle diese Geschichte so, wie sie sich mir da r stellt, denn dies ist es, was ich von unserem Land glaube. Dies ist es, was ich gesehen habe. Diese Worte niederz u schreiben, ist mein gottgegebenes Recht, und ich werde nicht aus Angst verstummen. Ich werde alles opfern, was ich habe, und dazu zähle ich auch mein Leben, wenn es mein Schicksal sein sollte, es für diese Sache zu lassen. Der Prinz ist nicht tot. Er wird zurückkehren. Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben, weil die Goldene Regen t schaft zu Ende gegangen ist. Die Erde dreht sich stetig vom Tag zur Nacht und wieder zum Tag, und wenn sic h d ie Nacht über uns senkt, haben wir den Tag, dem wir freudig entgegensehen können, doch am Tag bleibt uns nur die Nacht. Und ich sage euch aufrichtig, dass die Eiserne Regentschaft begonnen hat.
Zum Glück konnte ich diese Geschichte auswendig, denn schon seit einer ganzen Weile hatten die Tränen meine Augen blind gemacht. Ich holte leise Luft und blinzelte sie fort. Stirling wirkte in sich gekehrt, und es schien ihm nicht aufgefallen zu sein. »Ich habe die Seite verschl a gen«, behauptete ich, während ich mich über das Buch beugte und darin herumblätterte. »Warte kurz.«
Dann las ich hastig weiter.
Aldebaran schloss das Buch. »Verstehst du diese G e schichte?«
Der Junge nickte. »Es ist die
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