Mansfield Park
wohl behaupten, daß es zu ihrer Zeit im Pfarrhaus an nichts gefehlt und daß es in keinem schlechten Ruf gestanden habe – aber eine solche Großtuerei sei ihr einfach unverständlich! In einer Landpfarre die große Dame spielen – das passe eben nicht, und sie möchte meinen, ihre eigene Vorratskammer sollte für Mrs. Grant gerade noch gut genug sein. Dabei habe Mrs. Grant nicht mehr als fünftausend Pfund Mitgift bekommen – soviel sie auch herumfrage, höre sie nichts anderes.
Lady Bertram lauschte diesen Ausbrüchen ohne großes Interesse. In die Entrüstung einer in ihrer Sparsamkeit gekränkten Hausfrau konnte sie sich nicht hineindenken, fühlte sich aber als anerkannte Schönheit durch den Umstand beleidigt, daß Mrs. Grant, die nicht einmal hübsch zu nennen war, sich so glänzend versorgt hatte. Sie drückte ihr Erstaunen über diesen Punkt fast ebensooft, wenn auch weniger weitläufig aus, wie Mrs. Norris ihrer Empörung über Mrs. Grants Verschwendungssucht Luft machte.
Diese Dinge hatten etwa ein Jahr lang einen willkommenen Gesprächsstoff abgegeben, als sich ein neues Ereignis ankündigte; und diesmal war es von solcher Bedeutung für die Familie, daß es wohl einigen Raum in den Gedanken und Unterhaltungen der beiden Damen beanspruchen durfte. Sir Thomas fand es notwendig, persönlich nach Antigua zu reisen, um seine dortigen Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. Er nahm seinen ältesten Sohn mit, den er auf diese Weise von einigen höchst unerwünschten Freunden loszumachen hoffte. Sie verließen England mit der Aussicht, fast ein Jahr lang fernzubleiben.
Die Unerläßlichkeit der Reise aus finanziellen Gründen und die Hoffnung, daß sie sich für seinen Sohn günstig auswirken würde, erleichterten Sir Thomas den schweren Entschluß, sich von seiner Familie zu trennen und insbesondere seine Töchter in diesem für sie so bedeutungsvollen Lebensabschnitt der Führung anderer zu überlassen. Er glaubte nicht, daß Lady Bertram ganz der Aufgabe gewachsen sei, ihnen gegenüber seine Stellung einzunehmen oder, besser gesagt, ihre eigene Stellung richtig auszufüllen; doch er hatte genügend Vertrauen in Mrs. Norris’ Wachsamkeit und Edmunds richtiges Urteil, um ohne Besorgnis um seine Töchter abzureisen.
Lady Bertram sah es gar nicht gern, daß ihr Mann sie verließ. Doch ihre Seelenruhe wurde durch keinerlei Angst um seine Sicherheit, keine Sorge um sein Wohlbefinden getrübt. Sie gehörte zu den Menschen, die sich nicht vorstellen können, daß irgend etwas gefährlich oder schwierig oder anstrengend sein könnte, was ihnen nicht selber zustößt.
Sehr waren bei diesem Anlaß die jungen Damen zu bedauern, nicht etwa wegen ihres Kummers, sondern weil sie nichts Derartiges empfanden. Sie brachten ihrem Vater, der ihren Vergnügungen niemals günstig gesinnt schien, keine Liebe entgegen, und seine Abwesenheit war ihnen betrüblicherweise höchst erwünscht. Sie fühlten sich von jedem Zwang befreit. Auch wenn sie im Augenblick nicht an irgendein bestimmtes Vergnügen dachten, das Sir Thomas ihnen vermutlich nicht gestattet hätte, empfanden sie ganz allgemein, daß sie jetzt ihre eigenen Herrinnen wären und niemand ihnen Schranken auferlegen würde. Fanny fühlte sich ebenso erleichtert wie ihre Cousinen und war sich dessen gleichfalls bewußt, doch ihrem zärtlicheren Gemüt erschien dieses Gefühl als Undank, und sie grämte sich aufrichtig darüber, daß sie nicht imstande war, sich zu grämen. Sir Thomas, der soviel für sie und ihre Brüder getan hatte, verreist – vielleicht auf Nimmerwiedersehen – und sie hatte ihn ohne Träne wegziehen gesehen! Welch schändliche Gefühllosigkeit! Obendrein hatte er ihr am allerletzten Morgen gesagt, er hoffe, daß sie William im Lauf des nächsten Winters wiedersehen werde, und hatte ihr aufgetragen, dem Bruder zu schreiben und ihn nach Mansfield einzuladen, sobald das Geschwader, zu dem er gehörte, nach England zurückkehrte. Wie lieb und fürsorglich war das gewesen! Und hätte er nur ein Lächeln für sie gefunden und sie «meine liebe, kleine Fanny» genannt, wäre alle seine frühere Kälte und Strenge augenblicklich vergessen gewesen. Doch wie es seine Art war, hatte er seine Rede mit einem Satz beendet, der sie aufs tiefste kränkte: «Wenn William nach Mansfield kommt, wirst du hoffentlich in der Lage sein, ihm zu beweisen, daß die vielen Jahre, die seit euerer Trennung verflossen sind, für dich nicht gänzlich ohne Nutzen waren – obwohl
Weitere Kostenlose Bücher