Mansfield Park
liebte, und wenn sie sich erst mit dieser Vorstellung ausgesöhnt hatte, würde es wohl nicht lange dauern, bis sie seine Zuneigung erwiderte.
Diese Überzeugung teilte er seinem Vater als Ergebnis seiner Unterhaltung mit Fanny mit und empfahl ihm, mit ihr nicht mehr darüber zu sprechen und keine weiteren Überredungsoder Beeinflussungsversuche zu unternehmen, sondern alles Crawfords Beharrlichkeit und dem natürlichen Wirken ihrer eigenen Gedanken zu überlassen.
Sir Thomas versprach, den Rat zu befolgen. Er hielt Edmunds Darstellung von Fannys Natur für richtig, er traute ihr alle diese Gefühle ohne weiteres zu, aber eben der Umstand, daß sie so veranlagt war, dünkte ihn höchst ungünstig. Er beurteilte die Zukunft weniger optimistisch als sein Sohn und fürchtete insgeheim, wenn Fanny gar zu viel Zeit und Überwindung brauchte, bis sie bereit wäre, sich von dem jungen Mann den Hof machen zu lassen, würde der inzwischen die Lust dazu verloren haben. Doch vorläufig konnte man nichts anderes tun, als sich mit der Situation abzufinden und das Beste zu hoffen.
Der in Aussicht gestellte Besuch ihrer «Freundin», wie Edmund Miss Crawford nannte, lag wie eine fürchterliche Drohung vor Fanny, und sie lebte in ständiger Angst davor. In ihrer Eigenschaft als erzürnte Schwester so parteiisch und jeder Rücksicht bar – so unangreifbar und triumphierend, wenn man sie in ihrer anderen Rolle betrachtete – Fanny konnte ihrem Erscheinen auf jeden Fall nur mit peinlichen Gefühlen entgegensehen. Es schien ihr gleichermaßen schrecklich, ihren Vorwürfen, ihrem durchdringenden Scharfblick und – ach! – ihrem strahlenden Glück die Stirn zu bieten. Nur die Hoffnung, daß die Begegnung in Anwesenheit anderer stattfinden würde, gab Fanny etwas Mut. Sie hielt sich nach Möglichkeit in der Nähe ihrer Tante Bertram, mied das Ostzimmer und unternahm keine einsamen Spaziergänge im Park, um sich vor einem unvorhergesehenen Überfall zu schützen.
Ihre Vorsicht hatte Erfolg. Als Miss Crawford schließlich kam, saß Fanny heil und sicher mit ihrer Tante im Frühstückszimmer, und nachdem der erste Schreck vorbei war und Miss Crawford viel weniger anzüglich dreinblickte und redete, als Fanny gefürchtet hatte, begann sie zu hoffen, sie würde nichts Schlimmeres zu erdulden haben als eine halbe Stunde mäßiger Aufregung. Doch ihre Hoffnung trog. Miss Crawford war nicht die Person, sich zur Sklavin äußerer Umstände zu machen. Sie hatte sich vorgenommen, mit Fanny allein zu reden, und so flüsterte sie ihr alsbald zu: «Ich muß einen Augenblick privat mit Ihnen sprechen!» – Worte, die Fanny mit ihrem ganzen Körper, mit jeder Ader und jedem Nerv zu vernehmen glaubte. Doch eine Weigerung war ausgeschlossen. Sie war im Gegenteil an so selbstverständliche Fügsamkeit gewöhnt, daß sie fast augenblicklich aufstand und Miss Crawford hinausgeleitete. Sie tat es mit verzweifelten Gefühlen – doch es war nicht zu vermeiden.
Kaum waren sie vor der Tür, als Miss Crawford jede Zurückhaltung fallenließ. Sie ergriff Fannys Hand und sah sie kopfschüttelnd, mit neckischem, aber liebevollem Vorwurf an, als sei sie kaum fähig, sich einen Augenblick länger zu beherrschen. Immerhin besaß sie genügend Diskretion, vorderhand nur zu sagen: «Oh, Sie schlimmes, schlimmes Mädchen! Wie ich mit Ihnen schimpfen muß!», und die eigentliche Strafpredigt aufzuschieben, bis sie sicher zwischen vier Wänden wären. Fanny wandte sich der Treppe zu und führte ihren Gast ins Ostzimmer hinauf, das jetzt stets einen behaglichen Aufenthalt bot. Sie öffnete die Tür mit wehem Herzen und dem sicheren Vorgefühl, daß ihr eine peinlichere Szene bevorstand, als der Raum je erlebt hatte. Doch das Unheil, das über ihr schwebte, wurde wenigstens noch hinausgezögert. Miss Crawfords Gedanken schweiften jäh in eine andere Richtung, als sie sich plötzlich im Ostzimmer sah.
«Ha!» rief sie mit größter Lebhaftigkeit. «Bin ich wieder da? Das Ostzimmer! Hier war ich nur ein einziges Mal …» Sie unterbrach sich und ließ ihre Blicke durch den Raum schweifen, als wollte sie sich alles vergegenwärtigen, was damals vorgefallen war. «Ja, ein einziges Mal!» fuhr sie fort. «Erinnern Sie sich? Ich wollte mit Ihnen proben – Ihr Cousin kam auch – und wir hielten zusammen eine Probe ab. Sie waren das Publikum und die Souffleuse. Welch entzückende Probe! Ich werde sie nie vergessen. Hier sind wir gestanden, genau auf dieser Stelle. Dort war
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