Mansfield Park
zu lernen, doch wahrscheinlich hätte er aus Angst, die Kur könnte tödlich verlaufen, das Experiment
vorzeitig abgebrochen.
Fanny blieb den ganzen Abend lang bedrückt. Obwohl leidlich
sicher, daß sie Mr. Crawford nicht mehr sehen würde, konnte
sie nicht gegen ihre trübe Stimmung ankämpfen. Wie immer,
wenn ihr Vater nicht ausging, verbrachten ein oder zwei seiner
Kumpane den langen, langen Abend bei ihnen, und von sechs
bis halbzehn wurde ohne Unterbrechung Grog getrunken und
gelärmt. Sie war sehr niedergeschlagen. Die wunderbare
Veränderung, die sie noch immer in Mr. Crawford zu sehen
glaubte, vermochte ihr noch am ehesten etwas wie Trost zu
bringen. Ohne in Rechnung zu ziehen, in welch andersartiger
Umgebung sie ihm jetzt wiederbegegnet war und welche Rolle
die Kontrastwirkung spielen mochte, war sie ganz überzeugt,
daß er in erstaunlichem Maß edler und selbstloser geworden sei.
Und wenn er in kleinen Dingen mehr an andere dachte, mußte
er es nicht auch in großen tun? So ängstlich besorgt um ihre
Gesundheit und ihr Wohl, so voller Gefühl, wie er sich jetzt
ausdrückte und tatsächlich zu sein schien – durfte sie da nicht
hoffen, er würde nicht länger auf einer Werbung beharren, die
ihr soviel Kummer machte?
43. Kapitel
Man durfte annehmen, daß Mr. Crawford am nächsten Morgen nach London zurückgekehrt war, denn in Portsmouth wurde er nicht mehr gesehen. Zwei Tage später wurde diese Tatsache durch folgenden Brief seiner Schwester erhärtet, den Fanny – nicht seinetwegen – mit der ängstlichsten Spannung aufriß und las: «Ich habe Ihnen mitzuteilen, meine liebste Fanny, daß Henry in Portsmouth war, um Sie zu besuchen, daß er mit Ihnen letzten Samstag einen entzückenden Spaziergang auf die Werft gemacht hat und tags darauf einen noch denkwürdigeren auf die Wälle, allwo die balsamische Luft, die funkelnde See und Ihr eigenes süßes Gesicht und Gespräch sich zu einer bezaubernden Harmonie vereinten und Gefühle erregten, die noch im Rückblick zur Verzückung hinreißen. Dies soll, soviel ich verstehe, den eigentlichen Inhalt meines Briefes bilden. Er veranlaßt mich, Ihnen zu schreiben, aber ich weiß nicht, was noch zu berichten wäre, außer eben dem besagten Besuch in Portsmouth und den beiden besagten Spaziergängen und seiner Bekanntschaft mit Ihrer Familie, insbesondere mit einer hübschen Schwester, einem schmucken, fünfzehnjährigen Mädchen, das auf den Wällen mit dabei war und, wie ich annehme, seine erste Lektion in der Liebe erhielt. Ich habe nicht Zeit, viel zu schreiben, aber es wäre auch deplaciert, wenn ich es täte, denn dies soll ein reiner Geschäftsbrief sein, mit dem einzigen Zweck, Ihnen obige wichtige Mitteilung zukommen zu lassen, die absolut keinen Aufschub erduldet. – Meine liebe, liebe Fanny, was wollte ich Ihnen alles sagen, wenn ich Sie hier bei mir hätte! Sie müßten mir bis zur Erschöpfung zuhören und mir raten, bis Sie noch erschöpfter wären. Aber da es unmöglich ist, auch nur den hundertsten Teil meines gewaltigen Geistes zu Papier zu bringen, will ich ganz davon absehen und überlasse es Ihnen, zu vermuten, was Sie wollen. Ich habe keine Neuigkeiten für Sie. Die politischen kennen Sie natürlich, und es wäre nicht recht, Sie mit den Namen der Leute und Gesellschaften zu langweilen, die meine Zeit ausfüllen. Ich hätte Ihnen über die erste Gesellschaft Ihrer Cousine ausführlich Bericht erstatten sollen, aber ich war faul, und jetzt liegt es zu lange zurück. Genug also, daß alles genau so war, wie es sich gehörte, von einer Eleganz, die alle ihr Nahestehenden höchlich befriedigen mußte, und daß ihre eigene Toilette und Haltung ihr die größte Ehre machten. Meine Freundin, Mrs. Fraser, ist ganz verrückt nach so einem Haus, und auch ich hätte nichts dagegen einzuwenden. Nach Ostern übersiedle ich zu Lady Stornaway. Sie scheint in der besten Stimmung und sehr glücklich. Ich glaube, Lord S. ist im Kreis seiner eigenen Familie sehr gutmütig und liebenswürdig, und ich finde ihn auch nicht mehr so furchtbar häßlich wie früher, jedenfalls sieht man viel Schlimmeres. Neben Ihrem Cousin Edmund nimmt er sich nicht so gut aus. Was soll ich über den letztgenannten Helden sagen? Wenn ich seinen Namen überhaupt nicht erwähnte, würde das verdächtig erscheinen. Ich will also melden, daß wir ihn zwei oder drei Mal gesehen haben und daß seine distinguierte Erscheinung auf meine Freunde hier sehr großen Eindruck machte.
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