Mansfield Park
keinen unbedeutenden. Ihr Vater lud ihn ein, ihnen die Ehre zu erweisen und eine Hammelkeule mit ihnen zu verzehren, und Fanny fand gerade nur Zeit, vor Entsetzen zu erschauern, als Mr. Crawford auch schon erklärte, er sei leider bereits für den Nachmittag vergeben. Sowohl heute wie morgen wäre er zum Mittagessen verabredet – er habe im Gasthof einen alten Bekannten getroffen, der sich nicht abweisen ließ; er würde sich aber die Ehre geben, ihnen morgen nochmals seine Aufwartung zu machen – und so weiter. Daraufhin trennten sie sich – Fanny im Zustand absoluter Beglückung, einem so gräßlichen Unheil entronnen zu sein. Daß er an ihrem Tisch sitzen und sehen sollte, wie es bei ihnen zuging – nicht auszudenken! Rebeccas Kocherei und was Rebecca Servieren nannte – und Betsey, die hemmungslos in sich hineinstopfte und in alle Schüsseln griff – Fanny selbst war dagegen noch nicht genügend abgehärtet, um nicht die meisten Mahlzeiten unerträglich zu finden. Dabei war sie nur von Natur aus heikel und empfindlich, doch er war von klein auf in Luxus und feiner Lebensart geschult.
42. Kapitel
Gerade als die Familie Price sich am nächsten Morgen zum Kirchgang aufmachte, stellte sich Mr. Crawford wieder ein, aber nicht um sie aufzuhalten, sondern um sich ihnen anzuschließen. Er wurde aufgefordert, sie in die Garnisonskapelle zu begleiten – was genau seinen Absichten entsprach – und sie begaben sich alle zu Fuß hin.
Heute konnte die Familie sich sehen lassen. Die Natur hatte sie nicht stiefmütterlich bedacht, und sonntags trugen sie ihre sauberste Haut und ihren schönsten Staat. Das war ein Trost, den jeder Sonntag Fanny brachte, und heute war sie dafür besonders dankbar. Ihre arme Mutter schien jetzt nicht ganz so unwürdig, Lady Bertrams Schwester zu heißen, wie es sonst nur allzu häufig der Fall war. Es tat Fanny oft bitterlich weh, den Gegensatz zwischen den beiden zu sehen und zu bedenken, daß dort, wo die Natur soviel Ähnlichkeit geschaffen, die Lebensumstände einen so großen Unterschied bewirkt hatten, und daß ihre Mutter, die ebenso hübsch wie Lady Bertram und um einige Jahre jünger war, im Vergleich zu ihr so abgehärmt und verwelkt, so trostlos schlampig und schäbig aussah. Doch der Sonntag verwandelte sie in eine recht präsentable und leidlich zufrieden dreinblickende Mrs. Price inmitten einer Schar schmucker Kinder, die einen kurzen Urlaub von den Sorgen der Woche genoß und nur in Aufregung geriet, wenn sie sah, daß ihre Jungen sich in Gefahren stürzten oder Rebecca mit einer Blume auf dem Hut vorbeispazierte.
In der Kirche mußten sie sich trennen, doch Mr. Crawford sorgte dafür, daß er in der Nähe der Damen blieb. Auch nach dem Gottesdienst hielt er sich weiter zu ihnen und nahm an dem Familienspaziergang auf den Wällen teil.
Mrs. Price absolvierte das ganze Jahr hindurch an jedem schönen Sonntag ihren wöchentlichen Spaziergang auf den Wällen; sie ging geradewegs vom Morgengottesdienst hin und blieb, bis es Zeit zum Mittagessen war. Das war ihr öffentlicher Empfangssalon. Dort begegnete sie ihren Bekannten, vernahm die letzten Neuigkeiten, unterhielt sich über die Schlechtigkeit der Portsmouther Dienstboten und zog sozusagen das Uhrwerk ihres Gemüts für die nächsten sechs Tage auf.
Dorthin wandten sie sich nun. Mr. Crawford schätzte sich glücklich, die beiden jungen Damen in seine besondere Obhut zu nehmen. Und bevor sie sehr weit gekommen waren – niemand konnte sagen, wie es zuging – Fanny hätte es nicht für möglich gehalten – aber irgendwie fügte es sich, daß er zwischen ihnen ging und jeder einen Arm gereicht hatte, ohne daß sie wußte, wie sie es verhindern oder der Sache ein Ende machen sollte. Zuerst war es ihr sehr unbehaglich – doch der Tag und die prachtvolle Aussicht boten Freuden, denen sie sich nicht zu entziehen vermochte.
Das Wetter war ungewöhnlich schön. In Wirklichkeit schrieb man März, doch die milde Luft, der sanfte, frische Wind und die strahlende Sonne, die hie und da von einer leichten Wolke beschattet wurde, spiegelten einen Apriltag vor. Und alles sah in dieser Beleuchtung so herrlich aus – die einander jagenden Wolkenschatten, die über die Schiffe draußen auf der Reede und die Insel im Hintergrund dahinglitten, die ständig wechselnde Färbung des Meeres, die Wellen, die jetzt auf dem Höhepunkt der Flut so fröhlich über die weite Fläche tanzten und mit prachtvollem Rauschen am Wall zerschellten
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