Mansfield Park
London kamen, sind sie abgereist. Zu jeder anderen Zeit wäre das ein furchtbarer Schlag gewesen. Jetzt scheint es nichtig, trotzdem ist es eine schwere zusätzliche Belastung. Vater ist nicht zusammengebrochen, mehr durfte man nicht hoffen. Er ist noch imstande, zu denken und zu handeln, und ich schreibe Dir auf seinen Wunsch, um Dich zur Heimreise aufzufordern. Es liegt ihm um Mutters willen sehr daran, Dich in Mansfield zu wissen. Ich werde einen Tag, nachdem dieser Brief in Deine Hand gelangt, frühmorgens in Portsmouth sein und hoffe, Dich reisefertig zu finden. Vater wünscht, daß du Susan einlädst, für einige Monate mitzukommen. Richte es ein, wie Du willst, sag ihr, was Du für richtig hältst. Ich bin sicher, daß Du einen solchen Beweis seiner Güte in diesem Augenblick zu würdigen weißt. Laß seiner freundlichen Absicht Gerechtigkeit widerfahren, wie verworren ich sie auch ausdrücken mag. Du kannst Dir meinen Zustand einigermaßen vorstellen. Es ist noch kein Ende des Unheils abzusehen, das uns getroffen hat. Ich komme zeitig in der Früh mit der Postkutsche an. Dein etc.»
Niemals hatte Fanny dringender eine Herzstärkung gebraucht, niemals hatte ihr etwas solchen Trost gebracht wie dieser Brief. Morgen schon! Morgen würde sie Portsmouth verlassen! Sie war, wie sie zu ihrem Schrecken merkte, in der größten Gefahr, sich überglücklich zu fühlen, während so viele andere litten. Ihr brachte das Unglück dieses Glück! Sie fürchtete nur, daß sie jemals dagegen abstumpfen könnte. So bald heimkehren zu dürfen, so liebevoll heimgeholt zu werden, zum Trost heimgeholt zu werden und Susan mitnehmen zu dürfen – das war eine solche Fülle des Glücks, daß ihr Herz vor Freude entbrannte und jedes Leid fern schien. Sie fühlte sich kaum imstande, gebührend am Kummer derjenigen teilzunehmen, an deren Kummer sie doch vor allem dachte. Im Vergleich dazu konnte Julias Entführung sie nur wenig berühren. Sie war darüber verblüfft und empört – aber es beschäftigte sie nicht, sie konnte nicht dabei verweilen. Sie mußte sich geradezu zwingen, daran zu denken und sich einzuprägen, daß es eine schreckliche, schmerzliche Sache war, sonst entfiel es ihr wieder mitten in den aufregenden, dringenden, freudigen Sorgen, die ihre rasche Abreise mit sich brachte. Nichts hilft so gut gegen Kummer wie Tätigkeit, energische, unaufschiebbare Tätigkeit. Selbst eine melancholische Beschäftigung vermag die Melancholie zu bannen – und sie war hoffnungsvoll beschäftigt. Sie hatte so viel zu tun, daß nicht einmal die furchtbare Geschichte von Maria (die jetzt bis ins letzte bestätigt war) sie so aufrührte wie bisher. Sie hatte keine Zeit, sich der Verzweiflung hinzugeben. In vierundzwanzig Stunden hoffte sie, von hier fort zu sein. Sie mußte mit ihren Eltern sprechen, Susan vorbereiten, alles fertigmachen. Eine Arbeit löste die andere ab, der Tag war kaum lang genug. Auch die Freude, die sie bereiten durfte und die kaum durch die traurigen Mitteilungen getrübt wurde, die ihr vorangingen – die freudige Einwilligung ihrer Eltern, daß Susan sie begleiten dürfe – die allgemeine Befriedigung, mit der die Abreise beider Schwestern offenkundig betrachtet wurde – und vor allem das Entzücken von Susan selbst – all das trug dazu bei, ihr Glück zu erhöhen.
Das Unglück der Bertrams erregte in der Familie kein großes Mitgefühl. Mrs. Price bedauerte ein paar Minuten lang ihre arme Schwester – aber es beschäftigte sie viel mehr, wie man Susans Kleider einpacken sollte, wo doch Rebecca alle Schachteln wegzunehmen und zu verderben pflegte. Was Susan selbst anbelangte, so war ihr unerwartet der größte Herzenswunsch in Erfüllung gegangen, und zudem kannte sie sowohl die Sünder wie die Betroffenen persönlich gar nicht; wenn sie sich zurückhalten konnte, vom ersten bis zum letzten Augenblick laut zu jubeln, war dies das Äußerste, was man von der Seelengröße einer Vierzehnjährigen erwarten durfte.
Da nichts der Entscheidung von Mrs. Price oder den guten Diensten Rebeccas überlassen blieb, wurde alles der Reihe nach ordentlich und vernünftig erledigt, und abends waren die beiden Mädchen reisefertig. Doch es erwies sich als unmöglich, den Vorteil des Ausschlafens vor der langen Reise richtig auszunützen. Wie es nicht anders sein konnte, geisterte der Vetter, der sich auf dem Wege zu ihnen befand, durch ihre aufgeregten Gemüter und erfüllte das eine mit eitel Glück, das andere mit
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