Mansfield Park
dachte und um sie bangte.
22. Kapitel
Die Abwesenheit ihrer Cousinen erhöhte Fannys Ansehen, denn sie war jetzt das einzige junge Mädchen in der Familie, die einzige Vertreterin der anziehenden Gruppe, in der sie bis dahin so bescheiden den dritten Platz eingenommen hatte. Es konnte nicht anders sein, als daß man ihr mehr Beachtung und Aufmerksamkeit schenkte als je zuvor, und die Frage «Wo ist Fanny?» war durchaus nichts Ungewöhnliches mehr, auch wenn man sie nicht gerade zu einer Dienstleistung brauchte.
Doch nicht nur zu Hause stieg sie im Wert. Auch im Pfarrhaus, das sie sonst seit dem Tode ihres Onkels Norris kaum zweimal im Jahr betreten hatte, wurde sie jetzt ein gern gesehener Gast und an manchem düsteren, verregneten Novembertag eine höchst willkommene Gesellschaft für Mary Crawford. Ihre Besuche, die mit einem Zufall begonnen hatten, wurden über ausdrückliche Einladung fortgesetzt. Mrs. Grant, die in Wahrheit über jede Abwechslung froh war, die sich ihrer Schwester bot, konnte sich dabei noch mit der behaglichsten Selbsttäuschung einreden, daß sie sich ganz besonders nett zu Fanny benähme und ihr die größte Wohltat erwiese, wenn sie in sie drang, recht häufig wiederzukommen.
Fanny, die für ihre Tante Norris etwas im Dorf zu besorgen hatte, war in der Nähe des Pfarrhauses von einem heftigen Regenguß überrascht worden. Man beobachtete vom Fenster aus, wie sie unter den fast entlaubten Ästen der großen Eiche vor der Gartentür einen ziemlich fragwürdigen Schutz suchte, und zwang sie, ihrem schüchternen Widerstreben zum Trotz, hineinzukommen. Einem artigen Stubenmädchen gegenüber war sie standhaft geblieben, doch als Dr. Grant persönlich mit einem großen Regenschirm vor die Türe trat, blieb ihr nichts übrig, als sich sehr zu schämen und, so rasch es ging, ins Haus zu schlüpfen. Mary Crawford hatte gerade bekümmert in das trübselige Wetter hinausgestarrt und seufzend festgestellt, daß ihr geplanter Spaziergang und damit jede Chance, innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden ein nicht zum Hause gehöriges Gesicht zu erblicken, zu Wasser geworden war; sie war ganz beglückt, als sie eine kleine Unruhe vor der Haustür vernahm und Miss Price gleich darauf, vom Regen triefend, eintreten sah. Es wurde ihr eindringlich vor Augen geführt, welch unschätzbaren Wert auch das kleinste Ereignis an einem Regentag auf dem Lande besitzt. Sie war mit einem Schlag wieder ganz lebendig und die Tätigste von allen, die sich um Fanny bemühten; sie entdeckte, daß Fanny durchnäßter war, als sie anfänglich zugeben wollte, und versorgte sie mit trockenen Kleidern. Fanny war nicht nur gezwungen, alle diese Aufmerksamkeiten zu erdulden und sich von den Damen und ihren Zofen bedienen zu lassen, sie wurde obendrein in den Salon genötigt, um dort das Ende des Gusses abzuwarten – für Mary Crawford eine höchst willkommene Unterbrechung des eintönigen Tages, die sie mit etwas Glück über die tote Zeit bis zum Umkleiden und dem Mittagessen hinwegbringen konnte.
Die beiden Damen waren so lieb und reizend zu Fanny, daß der Besuch ihr selber große Freude gemacht hätte, hätte sie nur glauben dürfen, daß sie nicht störte und daß der Regen rechtzeitig nachlassen würde, um ihr die Beschämung zu ersparen, mit Dr. Grants eigenem Pferd und Wagen nach Hause gebracht zu werden, wie man es ihr androhte. Daß man sich daheim über ihr Ausbleiben in diesem Wetter ängstigte, brauchte sie nicht zu befürchten. Nur ihre Tanten wußten von ihrem Gang ins Dorf, und die machten sich ganz gewiß keine Sorgen um sie. Tante Norris würde mit großer Autorität bestimmen, in welcher Bauernhütte Fanny Zuflucht gesucht hätte, und Tante Bertram es als unzweifelhafte Tatsache hinnehmen, daß sie sich in eben dieser Hütte befände.
Das Wetter begann sich eben etwas aufzuhellen, als Fannys Blick auf die Harfe im Salon fiel. Sie stellte einige interessierte Fragen und mußte alsbald bekennen, wie sehr sie sich wünschte, das Instrument einmal zu hören; daß sie es noch nie vernommen hatte, seit es in Mansfield war, wollte man ihr kaum glauben! Fanny selbst fand das ganz einfach und natürlich: sie war seit dem Eintreffen der Harfe kaum jemals im Pfarrhaus gewesen, es hatte sich kein Anlaß dazu ergeben. Doch Miss Crawford erinnerte sich jetzt an den Wunsch, den Fanny einmal geäußert hatte, und war über ihr Versäumnis betroffen. «Soll ich Ihnen jetzt gleich etwas vorspielen?» rief sie mit der
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