Mansfield Park
größten Bereitwilligkeit. «Was möchten Sie gerne hören?»
Sie begann sogleich zu spielen und freute sich, eine neue Zuhörerin gefunden zu haben, noch dazu eine so dankbare, bewundernde Zuhörerin, der es nicht an Verständnis und gutem Geschmack mangelte. Sie spielte weiter, bis Fannys Blicke, die immer wieder zum Fenster schweiften, deutlich ihre Unruhe verrieten, denn draußen war es mittlerweile ganz hell geworden.
«Noch eine Viertelstunde – dann werden wir sehen, wie das Wetter wird», sagte Miss Crawford.
«Laufen Sie nicht gleich davon, weil der Regen einen
Augenblick aussetzt. Die Wolken dort drüben sehen sehr
bedrohlich aus.»
«Aber sie sind schon an uns vorbei», sagte Fanny. «Ich habe
sie beobachtet. Das Wetter kommt von Süden.»
«Ach was, Süden oder Norden! Das sind schwarze
Regenwolken, und Sie dürfen nicht gehen, solange es so
unsicher aussieht. Außerdem will ich Ihnen noch etwas
besonders Hübsches vorspielen – es ist das Lieblingsstück von
Ihrem Cousin Edmund. Sie müssen sich noch unbedingt das
Lieblingsstück Ihres Cousins anhören.»
Das fand Fanny ja auch, und obwohl sie nicht auf dieses
Memento gewartet hatte, um an Edmund zu denken, führte es
ihr sein Bild besonders deutlich vor Augen. Sie malte sich aus,
wie oft er in diesem Zimmer gesessen war, vielleicht gerade auf
dem Platz, den sie jetzt einnahm, um mit immer neuer Freude
seiner Lieblingsmelodie zu lauschen, die, wie es sie dünkte, mit
besonderem Ausdruck und Wohlklang gespielt wurde. Doch
obwohl ihr das Lied ebenfalls gefiel und obwohl es sie immer
beglückte, etwas schön zu finden, was Edmund schön fand,
wurde sie jetzt wirklich ungeduldig. Da sie augenscheinlich
nicht mehr zu halten war, ließ man sie gehen, doch sie wurde so
herzlich aufgefordert, doch recht bald wiederzukommen und
das Pfarrhaus so oft wie nur möglich in ihren Spaziergang
einzubeziehen und sich etwas vorspielen zu lassen, daß sie sich
selbst dazu verpflichtet fühlte, falls man zu Hause nichts
dagegen hätte.
Das war der Ursprung einer sonderbaren Intimität zwischen
Fanny und Mary Crawford, die sich in den ersten zwei Wochen
nach Marias Hochzeit herausbildete. Dieser vertrauliche
Umgang entsprang hauptsächlich Miss Crawfords Bedürfnis
nach etwas Neuem und hatte wenig mit Fannys wahren
Gefühlen zu tun. Sie besuchte Miss Crawford nun alle zwei oder
drei Tage. Es war wie eine Bezauberung – sie wurde unruhig,
wenn sie nicht hinging; aber sie liebte Mary Crawford nicht, sie
stimmte in keinem Gedanken mit ihr überein, sie empfand auch keine Dankbarkeit, daß Mary sie jetzt, da niemand anderer zu haben war, an sich heranzog. Marys geistreiches Geplauder brachte ihr keinen höheren Genuß als hie und da eine kleine Belustigung, und auch das meist gegen ihr besseres Gefühl, wenn der Witz auf Kosten von Menschen und Dingen ging, die sie zu achten wünschte. Und trotz allem ging sie immer wieder hin. Da das Wetter für die späte Jahreszeit ungewöhnlich milde blieb, lustwandelten sie manche halbe Stunde in Mrs. Grants parkartigem Garten und wagten es manchmal sogar, sich auf eine Bank niederzulassen und ein Weilchen zu sitzen, bis sie – vielleicht mitten in einem Begeisterungsausbruch Fannys über die Schönheit der späten Herbsttage – von einem kalten Windstoß, der die letzten gelben Blätter von den Bäumen schüttelte, gezwungen wurden, aufzuspringen und sich wieder
warmzulaufen.
«Wie hübsch es hier ist – wie wunderhübsch!» sagte Fanny, als
sie eines Tages wieder so beisammensaßen. «Jedesmal wenn ich
in den Garten komme, erstaunt es mich, wie rasch und schön er
sich entwickelt. Vor drei Jahren war hier nichts als ein Stück
Land mit einer verwilderten Hecke, und niemand dachte daran,
daß es da war und daß man daraus etwas machen könnte. Und
jetzt kann man hier so angenehm spazieren gehen und sich an
der Gefälligkeit und Bequemlichkeit der Anlage erfreuen. In drei
weiteren Jahren werden wir vielleicht vergessen – beinahe
vergessen haben, wie es ursprünglich aussah … Was für
wunderbare Veränderungen doch die Zeit bewirkt, und wie
wunderbar wir uns selbst verändern!» Und den letzteren
Gedankengang verfolgend, setzte sie nach kurzem Stillschweigen
hinzu: «Wenn irgendeine Fähigkeit des menschlichen Geistes
noch wunderbarer genannt werden darf als die übrigen, dann ist
es, meine ich, das Gedächtnis. In der Art, wie es arbeitet, liegt etwas, was mir unbegreiflicher scheint als alle anderen Funktionen unseres
Weitere Kostenlose Bücher