Mansfield Park
Verstandes. Manchmal ist es so zuverlässig, so dienstwillig, so fügsam – zu anderen Zeiten so schwach und verwirrt – und dann wieder so eigenwillig, so tyrannisch! Ja, sicher ist alles an uns wunderbar, aber das Unergründlichste
scheint mir unsere Fähigkeit, zu erinnern und zu vergessen.» Miss Crawford, der solche Betrachtungen nicht lagen, hatte
nichts darauf zu erwidern. Fanny merkte ihre
Unaufmerksamkeit und lenkte ihre eigenen Gedanken auf das
zurück, was auch ihre Freundin interessieren mußte.
«Es ist wohl anmaßend, wenn ich mir ein Lob herausnehme,
aber ich muß immer wieder den Geschmack bewundern, den
Mrs. Grant hier bewiesen hat. Die ganze Anlage ist so einfach
und natürlich – so ungekünstelt.»
«Ja», erwiderte Miss Crawford gleichgültig, «für ein ländliches
Pfarrhaus ist es nicht schlecht. Hier macht man keinen
Anspruch auf Großartigkeit. Unter uns gesagt, bevor ich nach
Mansfield kam, hätte ich mir nie vorgestellt, daß ein Dorfpfarrer
überhaupt Aspirationen auf eine Parkanlage oder ähnliche
Dinge haben könnte.»
«Wie gut die immergrünen Sträucher gedeihen!» fuhr Fanny
fort. «Onkels Gärtner behauptet immer, der Boden hier wäre
besser als der seinige, und es scheint wirklich so, wenn man
sieht, wie prächtig die Lorbeern und die anderen Gewächse
stehen. Immergrün! Wie schön und wunderbar sind doch
Pflanzen, die immer grünen! Was für ein erstaunliches Spiel der
Natur, wenn man es recht bedenkt! In anderen Gegenden bildet
der Baum, der seine Blätter abwirft, die Ausnahme; aber ist es
nicht merkwürdig, daß der selbe Boden und die selbe Sonne
Pflanzen hervorbringen, die sich so wesentlich in ihrem
wichtigsten Daseinsprinzip unterscheiden? – Sie werden finden, daß ich ins Schwärmen verfalle, aber wenn ich im Freien bin, besonders wenn ich eine Weile draußen sitze, gerate ich so leicht ins Schwärmen und Staunen. Man kann seinen Blick nicht auf die gewöhnlichste Naturerscheinung richten, ohne hingerissen
zu werden.»
«Um die Wahrheit zu gestehen», bemerkte Miss Crawford,
«halte ich es eher mit dem berühmten Dogen von Venedig am
Hof Ludwigs XIV. und kann von mir sagen: das Wunderbarste,
was ich an diesem Garten sehe, ist, daß ich mich selber darin
sehe. Wenn jemand mir vor einem Jahr gesagt hätte, daß dies
mein Heim sein würde, daß ich hier Monat um Monat
verbringen sollte, hätte ich es bestimmt nicht geglaubt. Und
doch bin ich jetzt schon fünf Monate hier – und obendrein die
ruhigsten Monate, die ich je erlebt habe.»
«Zu ruhig für Sie, glaube ich.»
«Das hätte ich auch geglaubt – theoretisch – aber …» und ihre
Augen leuchteten auf – «alles in allem habe ich bisher noch nie
einen so glücklichen Sommer verbracht. Allerdings …» setzte
sie mit gedämpfter Stimme gedankenvoll hinzu, «kann niemand
sagen, wohin es führen wird.»
Fannys Herz schlug rascher, und es war ihr nicht nach
weiteren Fragen zumute. Doch Miss Crawford fuhr mit erneuter
Lebhaftigkeit fort:
«Ja, ich habe mich viel, viel besser mit dem ländlichen Dasein
abgefunden, als ich je erwartet hätte. Ich kann mir sogar
vorstellen, daß es unter gewissen Voraussetzungen angenehm
sein könnte, sagen wir die Hälfte des Jahres auf dem Lande zu
verbringen – sehr angenehm sogar. Ein elegantes, nicht zu
kleines Haus – rund herum nette Verwandte, mit denen man in
ständigem Verkehr steht – dazu über die beste Gesellschaft der
Umgebung gebieten und vielleicht eine größere Rolle in ihr spielen als manche, die mehr Geld besitzen – und nach allen fröhlichen Zerstreuungen zu einem Tête-à-tête mit dem Menschen heimkehren, der einem lieber ist als alle anderen – an einem solchen Bild ist nichts Abschreckendes, nicht wahr, Miss Price? Unter diesen Voraussetzungen brauchte man die junge Mrs. Rushworth nicht zu beneiden.»-«Mrs. Rushworth beneiden!» war alles, was Fanny sagte. – «Lassen Sie nur. Es wäre sehr häßlich von uns, über Mrs. Rushworth die Nase zu rümpfen, denn ich freue mich jetzt schon auf die vielen vergnüglichen, glanzvollen Stunden, die wir ihr verdanken werden. Ich erwarte, daß wir uns nächstes Jahr alle sehr oft in Sotherton zusammenfinden. Eine solche Heirat ist für die Allgemeinheit ein Segen, denn Mr. Rushworths Frau wird nicht viele andere Freuden haben, als ihr Haus mit Gästen zu füllen
und die schönsten Bälle im ganzen Land zu geben.»
Fanny schwieg, und Miss Crawford versank wieder in
Nachdenken, bis sie nach ein paar Minuten
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