Mansfield Park
Vestibül stand Dr. Grant, und als man stehenblieb,
um ihn zu begrüßen, merkte Fanny aus Edmunds Worten, daß
er sie zu begleiten gedachte. Er verabschiedete sich gleichfalls –
dafür mußte sie dankbar sein. Im letzten Augenblick lud
Dr. Grant Edmund ein, ihnen doch morgen abend bei einer
Hammelkeule Gesellschaft zu leisten; und Fanny hatte kaum
Zeit, einen leisen, schmerzlichen Stich zu empfinden, als sich Mrs. Grant unvermutet zu ihr wandte und sie bat, ihnen doch gleichfalls das Vergnügen zu machen. Das war eine so ungewohnte Aufmerksamkeit, ein so völlig neuartiges Ereignis in Fannys Dasein, daß sie von Überraschung und Verlegenheit ganz überwältigt war. Während sie ein paar Dankesworte stammelte – aber sie fürchte, es werde ihr nicht möglich sein – warf sie Edmund hilfesuchende Blicke zu. Doch Edmund war hocherfreut, daß sich Fanny eine solche Zerstreuung darbot. Er vergewisserte sich durch einen flüchtigen Blick und ein paar rasche Worte, daß sie keine anderen Bedenken hatte als die Besorgnis, es würde ihrer Tante nicht recht sein; und da er von der Einwilligung seiner Mutter überzeugt war, erklärte er ganz entschieden, sie müsse die Einladung annehmen. Wenn Fanny es trotz dieser Ermutigung auch nicht wagte, sich zu so kühner Unabhängigkeit aufzuschwingen, galt es doch bald als ausgemacht, daß Mrs. Grant sie erwarten dürfe, falls sie nichts
Gegenteiliges hörte.
«Und das Menü kennen Sie schon», sagte Mrs. Grant lachend.
«Sie bekommen den berühmten Puter – und es ist ein besonders
schöner Puter, kann ich Ihnen versichern!» Sie wandte sich zu
ihrem Gatten: «Die Köchin besteht nämlich darauf, daß er
morgen gegessen wird.»
«Ausgezeichnet! Ausgezeichnet!» rief Doktor Grant. «Um so
besser! Ich freue mich zu hören, daß du etwas so Gutes im Haus
hast. Aber ich glaube, Miss Price und Mr. Edmund hätten es
darauf ankommen lassen. Das Menü ist uns allen nicht wichtig,
wir freuen uns auf ein gemütliches Zusammensein, nicht auf ein
üppiges Mahl. Puter, Gänsebraten, Hammelkeule, oder was du
uns sonst vorzusetzen gedenkst – das alles gilt uns gleich, nicht
wahr?»
Die beiden jungen Verwandten gingen zusammen nach Hause, aber es war ein schweigsamer Gang. Nachdem Edmund mit ein paar kurzen Worten seine herzliche Freude über die Einladung ausgedrückt hatte, als einen weiteren Beweis für Miss Crawfords Freundschaft, die ihn für Fanny so überaus wünschenswert dünkte, versank er in tiefe Gedanken und schien zu keinem weiteren Gespräch aufgelegt.
23. Kapitel
«Aber warum sollte Mrs. Grant Fanny einladen?» fragte Lady Bertram. «Wie kommt sie darauf, Fanny einzuladen? Fanny war doch noch nie zum Essen dort. Ich kann sie nicht entbehren, und sie hat sicher keine Lust, hinzugehen. – Du hast keine Lust, Fanny, nicht wahr?»
«Wenn Sie so fragen», rief Edmund, der Antwort seiner Cousine zuvorkommend, «wird Fanny natürlich nein sagen. Aber ich bin sicher, liebste Mama, daß sie große Lust hat, und ich sehe nicht ein, warum sie nicht hingehen sollte.»
«Ich verstehe nicht, wie Mrs. Grant auf die Idee kommt, sie einzuladen. Das hat sie noch nie getan. Gelegentlich hat sie deine Schwestern eingeladen, aber Fanny nie.»
«Wenn Sie mich nicht entbehren können, Tante …» begann
Fanny mit Selbstverleugnung.
«Papa wird ja den ganzen Abend bei Ihnen sein, Mama.» «Ja, das ist wahr.»
«Vielleicht fragen Sie ihn, was er dazu meint, Mama?» «Das ist eine gute Idee, Edmund, das will ich tun. Sobald er
nach Hause kommt, werde ich ihn fragen, ob ich Fanny entbehren kann.»
«Wenn Sie wollen, auch das, Mama. Aber ich dachte an Vaters Meinung, ob er es richtig findet, die Einladung anzunehmen oder nicht. Ich glaube, er wird es sowohl Mrs. Grant wie Fanny gegenüber für passend halten, daß man diese erste Einladung nicht ausschlägt.»
«Ich weiß nicht. Wir wollen ihn fragen. Aber er wird sehr überrascht sein, daß Mrs. Grant Fanny überhaupt einlädt.»
Bis zu Sir Thomas’ Heimkehr war nichts mehr zu dem Thema zu sagen; aber da es ihr persönliches Behagen betraf, beschäftigte es Lady Bertram so stark, daß sie Sir Thomas, als er eine halbe Stunde später auf dem Weg in sein Ankleidezimmer hereinschaute und die Tür gleich wieder schließen wollte, zurückrief: «Sir Thomas, einen Augenblick – ich muß dir etwas sagen.»
So matt und lässig ihr Ton auch war – denn sie machte sich nie die Mühe, die Stimme zu erheben – fand sie doch stets Gehör,
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