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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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riecht nach Moder, Schimmel und Talg, und hinter seiner krummen Fassade
erstreckt sich ein verschlungener Kaninchenbau aus kleinen Räumen mit
niedrigen Türrahmen. Waren unsere Vorfahren alle Zwerge oder wussten sie nicht
so genau, wie man eine Decke abstützt?
    Dieses Haus wurde vor
dreihundert Jahren von dem Henry gegründet, den es damals gab. Er baute es als
Zuflucht für Juden, die konvertieren wollten. Sobald sie diesen Schritt taten
- ratsam, wenn sie von Gewalt verschont bleiben wollten —, fiel ihr gesamtes
Vermögen an die Krone. Infolgedessen war es nur gerecht, dass die Krone sie für
die Spanne ihres natürlichen Lebens unterbrachte und verpflegte.
    Christophe rennt ihm voraus in
die Tiefen des Hauses. »Sehen Sie mal!« Er fährt mit dem Finger durch ein
riesiges Spinnennetz.
    »Du hast ihre Wohnung
zerstört, du herzloser Junge.« Er untersucht Arianes zerbröckelnde Beute: ein
Bein, ein Flügel. »Lass uns hier verschwinden, bevor sie zurückkommt.«
    Etwa fünfzig Jahre, nachdem
der damalige Henry das Haus gestiftet hatte, wurden die Juden aus dem
Königreich vertrieben. Und doch war dieser Ort der Zuflucht nie völlig leer;
selbst heute noch leben zwei Frauen dort. Ich werde sie besuchen, sagt er.
    Christophe klopft die Wände
und die Balken ab, gerade so, als wüsste er, wonach er sucht. »Wie schnell
wärst du weg«, sagt er genüsslich, »wenn ein Klopfen als Antwort käme?«
    »Oh Gott!« Christophe
bekreuzigt sich. »Ich vermute, hier sind hundert Männer gestorben, Juden und
Christen.«
    Hinter dieser Täfelung, das
ist wahr, kann er die winzigen Knochen von Mäusen spüren: einhundert
Generationen, die gelenkigen Vorderpfoten zur ewigen Ruhe gefaltet. Ihre
Nachkommen gedeihen prächtig, das kann er riechen. Genau die richtige Aufgabe
für Marlinspike, sagt er, wenn wir ihn einfangen können. Der Kater des
Kardinals lebt jetzt wild, streift nach Belieben durch Londoner Gärten, wird
vom Geruch der Karpfen in den Teichen von Stadtklöstern angezogen, und soweit
er weiß, lässt er sich auch auf die andere Seite des Flusses locken, um sich an
die Busen von Huren zu schmiegen, an schlaffe Brüste, die mit Rosenblättern
und Ambra eingerieben sind. Er stellt sich Marlinspike vor, wie er schnurrt und
sich räkelt und nicht nach Hause kommen will. Er sagt zu Christophe: »Ich frage
mich, wie ich der Herr der Schriftrollen sein kann, wenn ich nicht einmal Herr
einer Katze bin.«
    »Die Rollen haben keine Pfoten
zum Abhauen.« Christophe tritt gegen eine Fußleiste. »Mein Fuß geht da durch«,
sagt er und demonstriert es ihm.
    Wird er die Bequemlichkeiten
von Austin Friars eintauschen gegen diese winzigen Fenster mit den verzerrenden
Scheiben, diese knarrenden Gänge, diese uralte Zugluft? »Der Weg nach
Westminster ist kürzer«, sagt er. Und auf dieses Ziel richtet er seinen Sinn -
Whitehall, Westminster und der Fluss, und dann mit der Barke des Ersten Sekretärs
flussabwärts nach Greenwich oder flussaufwärts nach Hampton Court. Ich werde
oft in Austin Friars sein, versichert er sich, fast jeden Tag. Er baut gerade
einen besonderen Tresorraum, einen Aufbewahrungsort für jegliches Goldgerät,
das der König ihm anvertraut; was immer er dort deponiert, kann schnell zu
Bargeld gemacht werden. Diese Schätze kommen auf normalen Karren in die Straße,
um gar nicht erst Aufmerksamkeit zu erregen, aber es gibt wachsame Reiter zur
Begleitung. Die Kelche liegen in weichen Lederbehältern, die speziell für sie
angefertigt wurden. Die Schalen und Teller, umhüllt mit weißem Wolltuch zu
sieben Pence der Yard, werden in Segeltuchbeuteln transportiert. Die Juwelen
werden in Seide eingewickelt und in Truhen mit neuen und glänzenden Schlössern
gelegt: Und er hat die Schlüssel. Es gibt große Perlen mit dem feuchten
Schimmer des Ozeans und Saphire so heiß wie Indien. Es gibt Steine, die sind
wie die Früchte, die man an einem Nachmittag auf dem Land pflückt: Granate wie
Schlehen, rosa Diamanten wie Hagebutten. Alice sagt: »Für eine Handvoll von
denen würde ich persönlich jede Königin der Christenheit stürzen.«
    »Wie gut, dass der König dich
nie getroffen hat, Alice.«
    Jo sagt: »Mir wären
Ausfuhrgenehmigungen lieber. Oder ein Vertrag als Heereslieferantin.
Irgendjemand wird ein Vermögen in den Irischen Kriegen machen. Bohnen, Mehl,
Malz, Pferdefleisch ...«
    »Ich guck mal, was ich für
dich tun kann«, sagt er.
    Der Pachtvertrag für Austin
Friars läuft über neunundneunzig Jahre. Seine

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