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Mantramänner

Mantramänner

Titel: Mantramänner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Hagedorn
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Mit dem waren wir noch nicht fertig, Nadine und ich.

TRIKONASANA
    Das Dreieck (Trikonasana) hilft, die Welt aus einem veränderten Blickwinkel zu sehen. Es öffnet für überraschende Erkenntnisse und bahnt den Weg für neue, heilsame Verhaltensmuster.

    An der Decke schwebten Engelchen aus Pappmaschee. Sie hatten dralle rosa Beinchen, flatterige himmelblaue Gewänder und speckige Doppelkinne. Das mochte aber auch daran liegen, dass man sie von unten sah. Keine sehr vorteilhafte Perspektive, nicht einmal für Engelchen.
    Es war ein bisschen, als hätten Nadine und ich uns mit Siv in einer Kirche verabredet. Dabei war es nur das »Caféhaus«. Komisch, dass mir die Engelchen noch nie vorher aufgefallen waren. Musste an meinem neuen Blickwinkel liegen. Nicht nur auf die Engel. Auf alles. Wie sagten die Hollywood-Stars immer, »Yoga hat mein Leben total verändert!«?
    Ich studierte die Teekarte. Roibuschtee, Ingwertee, grüner Tee, Yogitee. Dann kam die Bedienung, und ich bestellte einen Sekt auf Eis. Zur Feier des Tages. Und gegen die Nervosität. Schließlich hatte ich noch nie ein Date zu dritt gehabt.
    Auch wenn einer der drei Beteiligten davon noch nichts ahnte.
    Nadine hatte völlig recht. Wir durften Siv mit seinem Doppelspiel nicht davonkommen lassen. Erst das mit der Traurigkeit, ob in den Hüften oder sonst wo, und dann das Schweigegebot – ich mochte mir gar nicht ausmalen, bei wie vielen Frauen er mit dieser Masche noch gelandet war. Schließlich unterrichtete er nicht nur in drei Yogastudios
in unserer Stadt. Es gab auch noch die Workshops in Werderhorst. Im Erzgebirge. Und wer weiß, wo noch.
    Ich blickte auf die große Wanduhr über dem Tresen. Zehn nach halb neun. Frechheit. Jetzt verspätete sich der Kerl auch noch. War wohl in einem anderen Hier und einem anderen Jetzt hängen geblieben. Ich hob mein Glas und prostete den Deckenengelchen zu.
    Seit vier Tagen, seit dem schwärzesten Dienstag meines Lebens, hielt mich vor allem ein Gedanke bei Laune: Der Anblick von Sivs Gesicht, wenn Nadine in zwanzig Minuten an unseren Tisch spazieren würde. Neun Uhr, das hatten wir verabredet.
    Allerdings sollte er bald mal kommen. Ein Kreuzverhör ohne Verdächtigen konnte ganz schön langweilig werden.
    Ich blickte durch das große Panoramafenster nach draußen. Es war windig, und Regentropfen rasten wie gehetzt über die Scheiben. Irgendwann näherte sich schwankend ein Fahrrad, auf dem vorn ein großer Korb befestigt war, zugedeckt mit einer Plastikplane. Ich sah zu, wie der Fahrer abstieg und einen trapezförmigen Fahrradständer ausklappte, so wie ihn auch Briefträger an ihren Rädern haben. Dann zog er den Korb rüttelnd aus seiner Halterung und machte sich auf den Weg Richtung Tür. Sekunden später flog der schwere, bordeauxrote Vorhang auf, der als Windfang diente, und der Mann betrat das Lokal. Er zog sich die Kapuze der Regenjacke vom Kopf und die Plane von seinem Korb, dann schüttelte er seine dichten, dunklen Haare wie ein Hund nach dem Baden. »Laugenbrezen, Käsebrezen, Vollkornbrezen, Glückskekse«, skandierte er wie ein Marktschreier auf dem Hamburger Fischmarkt und begann seine Runde von Tisch zu Tisch.
    Interessant. Der hatte wohl sein Sortiment erweitert. Vor ein paar Jahren, als ich noch mehr im Nachtleben unterwegs gewesen war, hatte er immer nur die gleichen trockenen Laugenbrezen gehabt.
    »Entschuldigung?« Ich zupfte ihn an seinem nassen Ärmel. Es tropfte auf meinen Tisch. Er blieb stehen und zwinkerte mir aus seinen grünen Augen zu.
    »Was kosten denn deine Glückskekse?«
    »Theoretisch unbezahlbar«, antwortete er, »aber weil du’s bist, bekommst du einen für fünfzig Cent.«

    Mit geschlossenen Augen wühlte ich in seinem Korb. Kleine, dreieckige Plastikverpackungen, glatt und schlüpfrig in meinen Fingern. Da, die da! Die fühlte sich anders an als die anderen. Irgendwie – wärmer. Das war mein Keks. Mein Schicksal.
    Ich kniebelte an der Verpackung, legte dann feierlich meine Daumen zusammen und brach den Keks auseinander. Der Teig bröselte, als ich den Zettel aus dem Inneren holte und vorsichtig glatt strich.
    »Na, meine Liebe? Was sagt das Orakel?«
    Ich fuhr herum und blickte in Sivs Gesicht. Er musste gleich hinter dem Brezenverkäufer das Café betreten haben, aber ich hatte ihn nicht kommen sehen. Kleine Perlen standen auf seiner Stirn, Schweiß oder Regen, und sie sahen so appetitlich aus, als hätte man ein Model für einen Sportklamotten-Werbespot

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