Manuskript des Teufels
allem bei der Existenzgründung umfangreiche materielle und ideelle Unterstützung zuteil. So war es nicht verwunderlich, dass Schläfer nur ausnahmsweise ihren Lebensunterhalt als Angestellte oder Beamte bestritten. Die meisten Sajanim betrieben florierende kleinere oder mittelständische Unternehmen, gut gehende Anwaltskanzleien oder waren erfolgreich im Immobiliengeschäft.
Wegen der guten, freundschaftlichen Beziehungen zwischen dem Mossad und dem BND genossen manche dieser Auslandsresidenturen in Deutschland diplomatischen Schutz.
Efraim Kirschbaum, mit seinen 64 Jahren eine stattliche und vertrauenerweckende Erscheinung, erhob sich müde aus seinem Schreibtischsessel. Die Tür zum Nachbarraum, dem Refugium seiner Tochter Sara, seiner derzeit rechten Hand und zukünftigen Firmenchefin, war nur angelehnt.
Er klopfte an: „Ich bin’s. Ich muss dich unbedingt sprechen. Hast du einen Augenblick für mich?“
„Natürlich, Papa. Für dich doch immer. Was kann ich für dich tun?“
Sie schaute ihn besorgt an, kannte diesen müden Gesichtsausdruck. Wenn er diese deprimierte Mimik zur Schau stellte, beschäftigte ihn ein ernstes Problem.
„Komm, machen wir es uns in der Couch-Ecke bequem. Wo drückt diesmal der Schuh? Ärger? Der Verlag läuft doch blendend.“
„Stimmt, mach dir keine Sorgen. Und mit mir ist auch alles in Ordnung. Aber mich hat etwas eingeholt, das ich fast schon vergessen hatte.“ Kirschbaum machte eine nachdenkliche Pause. „Du sollst wissen, dass ich Jemandem, der mir früher einmal sehr geholfen hat, etwas schuldig bin. Die Sache liegt über dreißig Jahre zurück, doch jetzt hat der Betreffende mich um Hilfe gebeten. Ich habe keine Wahl, ich muss mich um ihn kümmern. Die Pflicht ruft. Ab morgen musst du für zwei bis drei Wochen ohne mich auskommen. Ich weiß, dass unser Unternehmen bei dir in besten Händen ist. Du hattest“, er lächelte verschmitzt, „ja auch einen guten Lehrmeister.“
Zögerlich fragte Sara dazwischen. „Und um was geht es genau?“
„Das kann ich dir leider nicht sagen. Aber keine Sorge: Für mich besteht bei dieser Intervention keinerlei Gefahr für Leib und Leben. Man könnte sogar sagen, dass es sich um eine willkommene Abwechslung zum Firmenalltag handelt. Am meisten schmerzt mich dabei, dass ich mehrere Wochen auf dich verzichten muss.“
„Vater, ich weiß, dass du nichts Unüberlegtes tun wirst. Wann geht’s denn los?“
„Gleich morgen früh. Ich werde mit meinem Wagen reisen. Mein Ziel ist der Norden der Republik. Wenn ich angekommen bin und Zeit finde, melde ich mich bei dir.“ Erleichtert durch dieses Gespräch verabschiedete er sich mit einer vertrauten Umarmung von seiner Tochter.
Am anderen Morgen startete er mit einem Schuss Neugier in das Abenteuer. Sein schauspielerisches Talent war gefragt.
Anfang der 30er Jahre waren seine damals noch sehr jungen Eltern wegen der sich abzeichnenden Judenverfolgung in die USA ausgewandert, und es verschlug sie in das knapp 30.000 Einwohner zählende Hafenstädtchen New Bern im Staate North Carolina.
Sein Vater hatte dort eine Anstellung in einem kleineren Zeitungsverlag gefunden und sich bis zum Verlagsleiter hochgearbeitet. Efraim wurde zweisprachig erzogen. Er genoss mit seinen Spiel- und Schulkameraden die unmittelbare Nähe zum Hafen, zum Meeresstrand und zum Croata National Forest.
An der North Carolina State University in Raleigh, der etwa 113 Meilen von New Bern entfernten Landeshauptstadt, studierte er Journalistik und Kommunikationswissenschaften. Nach einer mehrjährigen Übergangszeit trat er die Nachfolge des Vaters an, der in den Ruhestand ging.
Als mit der Berentung das berufliche und gesellschaftliche Engagement des Vaters abklang, erwachte und wuchs bei den Eltern Heimweh und Sehnsucht nach ihrem Vaterland Deutschland. Ja, Heimweh, obwohl die Nazis ihnen damals übel mitgespielt hatten. Dieses deutsche Unglück war zwar nicht vergessen, aber vorüber. 1980 kehrten sie in ihre Heimatstadt, nach Frankfurt am Main, zurück.
Der inzwischen 32-jährige Efraim hatte sich von seinem Vater überreden lassen, ebenfalls umzusiedeln. Deutschland besaß einen hervorragenden Ruf als Wirtschaftswunderland und gehörte zu den gesellschaftlich und kulturell angesehensten Ländern der Welt. Deutschland, das Land der Dichter und Denker, Deutschland das Land des weltweit hoch im Kurs stehenden Gütesiegels ‚Made in Germany‘. Zudem betonte er immer wieder, dass es wohl kaum ein anderes Land
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