Manuskript des Teufels
Zeitschriften verkauft wurden und in der, gottlob, Italienisch keine Fremdsprache war.
Er fragte die Bedienung, auf den ersten Blick Italienerin, nach dem Weg. Die nette junge Frau hakte sich in seinen Arm ein und ging mit ihm bis zur Rolltreppe. „Dort unten ist Ebene 03 und hinten in der linken Ecke findest du die Information. Und lern ein bisschen Deutsch. Addio ragazzo mio, io sono Maria“, winkte sie ihm hinterher.
Auf halber Strecke zum Informationsschalter kam ihm ein freundlich lächelnder älterer Herr entgegen, der ihn im ersten Moment an den deutschen Schauspieler Mario Adorf erinnerte.
„Verzeihung, sind Sie Leano Leone? Mein Chef, Dr. Flavio Fontana, schickt mich. Ich soll Sie ins Hilton bringen. Herr Fontana erwartet Sie um 19 Uhr in der Löwenschenke des Hotels zum Abendessen.“
Der Name ‚Hilton‘ löste bei dem einfachen Jungen aus der abgelegenen kalabrischen Provinz ein bewegendes emotionales Tauziehen aus. Einerseits kam er sich vor wie eine minderwertige von der Katze gejagte Maus, die sich am liebsten in irgendeinem Loch verkrochen hätte. Andererseits fühlte er sich aufgewertet wie ein niederklassiger Fußballverein, der urplötzlich dank potenter Geldgeber in der höchsten Liga mitspielen durfte.
Doch Leano kappte das Seil, an dem die beiden Extreme, die lähmende und hemmende Depression und die manisch gesteigerte Selbstüberschätzung zerrten und entschied sich, sachlich und cool zu bleiben. Kombiniert mit der Bereitschaft, das Maximum dessen zu leisten, wozu er in der Lage war.
37
Das feierliche Hochamt in der kleinen 1976 erbauten Kirche erfreute sich an diesem Sonntag einer hohen Besucherzahl. Bis auf die für die Ehrengäste reservierte erste Reihe waren bereits alle Bänke besetzt. Kirschbaum entschied sich für einen Stehplatz in der Nähe des noch verschlossenen Hauptportals unter der Empore.
Pünktlich um elf Uhr drehten sich, wie einem geheimen Kommando gehorchend, sämtliche Köpfe der Anwesenden dem Hauptportal zu, dessen Flügel sich öffneten.
Kirschbaum zuckte zusammen, als im gleichen Augenblick die für den kleinen Kirchenraum überdimensionierte Orgel ihr Bestes gab, um die heilige Feier zu eröffnen. Eine Weile später genoss er dieses von Meisterhand vorgetragene Orgelentrée. Er liebte dieses bekannte Orgel-Toccato des französischen Organisten und Komponisten Charles-Marie Widor. Gehört hatte er den letzten Satz der Symphonie für Orgel Nr. 5 bereits zum Ausklang der nächtlichen vom Papst zelebrierten Weihnachtsmette im Petersdom.
Ein Messdiener führte mit würdevollem Schritt die kleine Prozession an. Offensichtlich fiel es dem Jungen schwer, die brennende, mit zwei sich überlagernden, goldenen Ringen dekorierte große Kerze zu tragen.
Ihm folgte das Goldhochzeitspaar, Claire und Fritz Blumberg, deren Freunde, das Ehepaar D’Aubert, und deren Sohn, Stephan D’Aubert, mit seiner Braut Maria.
Claire musste Kirschbaum bemerkt haben. Sie schaute zu ihm herüber, nickte ihm zu und winkte ihn nach vorne. Kirschbaum verstand die Geste und begab sich zur ersten Bankreihe.
Im Anschluss an eine kurz gehaltene Predigt würdigte der Pfarrer das Jubelpaar, erteilte ihm Gottes Segen verbunden mit dem Wunsch, die Gnade des gemeinsamen Glückes noch viele Jahre genießen zu können.
Zum Abschluss des feierlichen Hochamtes sang der Kirchenchor, dezent von der Orgel begleitet, die von Karl-Friedrich-Wilhelm Herrosee stammende erste Strophe des zu Herzen gehenden und manche Träne hervorlockenden Liedes „Ich liebe dich“ von Beethoven:
„Ich liebe dich, so wie du mich
Am Abend und am Morgen
Noch war kein Tag, wo du und ich
Nicht teilten unsere Sorgen“.
Efraim schaute schmunzelnd der nicht enden wollenden Gratulationszeremonie zu, die dem scheinbar angesehenen und beliebten Ehrenpaar auf dem Kirchenvorplatz zuteilwurde.
Später, im Restaurant des Nümbrechter Kurparkhotels, wartete ein reichhaltiges Buffet auf die kleine, aber feine Gesellschaft. Zu Kaffee und Kuchen an diesem feierlichen Sonntagnachmittag hatten die Blumbergs zu sich nach Hause eingeladen.
Die meisten Gäste nahmen zur Überbrückung der Zeit das verlockende Geschenk der Natur an und spazierten bei wunderbarem Wetter durch den gartenarchitektonisch abwechslungsreich und farbenfroh gestalteten Kurpark.
Eine ideale Kulisse, freute sich Kirschbaum, um unauffällig die Initiative zu ergreifen. Er gesellte sich an D’Auberts Seite: „Hallo, Herr Professor, ich begrüße Sie und freue
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