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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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einer Blechdose und einem Stück Schnur zu ihm durchzudringen. Erst da bemerkte sie ihre eigene Furcht.
    Während sie zurückwich, blickte sie auf und kniff die Lider zu engen Schlitzen zusammen. Bobbys Lächeln vertiefte sich, je stärker er leuchtete. Er wirkte überglücklich.
    Natalie war übel. Was sollte sie tun? Aus der Ferne hörte sie McAlister rufen, sie solle herauskommen und verschwinden; seine Stimme klang hell und hysterisch wie die eines Kindes. Natalie drehte sich um, um ihre bestrahlte Haut von dem Leuchten abzuschirmen. Die Sirene wechselte die Tonart; Natalie hörte nun das Signal für Kontaminationsalarm. Irgendwo gab es ein leises Geräusch, und das Licht verebbte zum dämmrigen Nachtschimmer. Es leuchtete so rot wie die Alarm-Warnlichter.
    Natalies Augen tränten heftig. Sie versuchte, sich an die neuen Lichtverhältnisse zu gewöhnen, und drehte sich um. Bobby musste starke Verbrennungen erlitten haben oder sogar gestorben sein. Sie sah, wie sich die Decke auf seinem Bett leicht herabsenkte und als Reihe von Lakenbergen und Lakentälern zusammenfiel. Sie breitete sich über die eingedrückte Schaumstoffmatratze, die sich aufrichtete, wo sie den Abdruck eines Menschen trug, und der Bettdecke entgegenstrebte. Bobby war nirgendwo zu sehen.
    Natalie ließ den Scanner fallen. Sie hörte, wie er über den Fliesenboden klapperte, doch das spielte überhaupt keine Rolle. Sie starrte auf das Bett, und ihr Mund bildete lautlose, bedeutungslose Silben des Unglaubens. Sie wollte lachen und musste ständig an Judes Aktenordner denken und daran, wie dieses Dossier aufgetaucht war; Dinge schienen in die Wirklichkeit einzutauchen und aus ihr zu verschwinden, als wäre es das Normalste auf der Welt, als wäre es leicht und nahe liegend, dass so etwas geschah. Das Zittern in den Eingeweiden, das sie angesichts der Papiere und Akten nicht empfunden hatte, überfiel sie nun, und sie bekam weiche Knie. Sie tastete nach etwas, woran sie sich festhalten konnte. Das Bett stand ihr am nächsten; sie packte es, und ihre Erleichterung über seine Stofflichkeit und Festigkeit war unbeschreiblich.
    Von der Tür hörte sie McAlister: »Wo ist er hin, verdammt?«
    Jemand rief von weitem ihren Namen. Es war fast unhörbar.
    Natalie lehnte sich ans Bett. Sie spürte, wie warm es war, und roch Bobbys Schweiß, der den Laken entstieg. Wie von einem eigenen Willen erfüllt, tasteten ihre Hände nach ihm und vergewisserten sich, dass er tatsächlich verschwunden war. Nun lachte sie, eine Art hustendes Keuchen, das keinerlei Belustigung anzeigte. Ein Streich … es musste ein Streich sein. Aber niemand, der hier arbeitete, hatte genügend Humor, um solch einen Streich auszuhecken.
    »Natalie? Doktor Armstrong?« Die ferne Stimme näherte sich beim Sprechen. Sie klang zaudernd und verängstigt.
    Verwirrt sah sie unters Bett und entdeckte, was sie erwartet hatte: nichts.
    Sie wirbelte herum, überlegte, wie albern das alles war, und erstarrte mitten in der Bewegung.
    Bobby X stand direkt vor ihr.
    »Doktor?«, wisperte er. Er streckte unsicher die Hände nach ihr aus und nahm die Augen nicht von ihr.
    »Bo …«, begann sie erleichtert, legte die Hand aufs Herz und wollte ihm gerade sagen, was für einen Schrecken er ihr eingejagt habe, als er verblasste.
    Es war, als erblickte sie ein Gespenst. Mit einem Mal konnte sie durch Bobby hindurch die offene Tür sehen und das dumpfe, fassungslose Gesicht McAlisters, der dort stand und den Mund aufsperrte wie eine Venusfliegenfalle.
    »Natalie!?« Auch Bobbys bebende Stimme verebbte. Sie klang wie ein schlecht eingestellter Sender im Radio. Er scharrte mit der Hand an etwas vor ihm, als würde er angegriffen, blinzelte und verdrehte die Augen.
    Sie begriff, dass er sie nicht mehr sehen konnte.
    »Es ist schon gut. Ich bin hier, Bobby.« Natalie streckte rasch die Arme nach ihm aus und wollte ihn bei den Händen packen. Ihre Finger drangen durch ihn hindurch und schlossen sich um nichts.
    »Natalie!«, rief er. Die gelassene Glückseligkeit von eben war verschwunden. Die Schatten auf seinem Gesicht waren schreckerfüllt, und ihr ungleichmäßiges Flackern ließ es aussehen, als zwinkerte er mit den Augen.
    Sie griff immer wieder dorthin, wo sie noch Spuren seiner Umrisse sehen konnte. Ihre Finger klatschten auf ihre Handflächen, ihre Fäuste schlossen sich leer innerhalb seiner Arme. Sie spürte nichts außer einem schwachen Prickeln wie das Kribbeln eines eingeschlafenen Gliedes, wo sie

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