Mappa Mundi
Fahrkarte nachlösen müssen.« Als ihr Martini kam, trank sie sofort einen Schluck und fischte die Olive heraus, um sie zu verspeisen. »Was also hältst du von dieser Einladung nach Utah?«
Jude hatte keinen Gedanken mehr daran verschwendet. Nicht Dugway, sondern Fort Detrick ging ihm nicht aus dem Kopf. »Wieder so eine Technoporno-Show der Armee«, sagte er. »Hat wahrscheinlich was mit der B-Waffen-Bedrohung zu tun.« Sie waren schon oft zu Vorführungen eingeladen worden, wo eine neue Errungenschaft der Rüstungsforschung, sei es zur Abwehr oder zum Angriff, einem ausgewählten Publikum vor die Füße geworfen wurde. Sie hatten Zutritt, weil ihre Aufgabe darin bestand, rechtzeitig dahinter zu kommen, falls jemand ähnliche Systeme auf den schwarzen Markt bringen wollte. Jude hatte noch nie B-Waffen außerhalb einer BSL-4-Sektion gesehen, und er legte Wert darauf, dass es so blieb. »Wann ist das denn?«
»In ein paar Tagen. Perez schickt dir die Einzelheiten.« Mary schüttelte sich das Haar hinter die Schultern zurück. »Aber genug davon. Hast du dieses Gerücht über die Experimente in Deer Ridge gehört? Hast du da nicht Familie?«
Jude erschrak, aber er wusste es zu verbergen. Er hatte einige Berichte auf den kleineren oder schreienderen Nachrichtenkanälen gesehen, und der Vorfall fand in den Überblicken Erwähnung, die über die FBI-Datapilots verbreitet wurden. »Ja. Meine Schwester. Meine Halbschwester. Sie wusste nichts davon.«
Mary wirkte enttäuscht. »Ich hatte gehofft, wir finden dort einen Hinweis, irgendeinen Fingerzeig.«
»Wenn«, entgegnete Jude, »dann wird es eine Regierungsangelegenheit sein. Genau wie in den Iwanow-Fällen. Uns ist es noch nie gelungen, eine andere Behörde erfolgreich wegen Nutzung oder Entwicklung vor Gericht zu bringen. Sie ziehen immer wieder das Ass aus dem Ärmel, das sich ›Interesse der nationalen Sicherheit‹ nennt.« Ergriff nach ihrer Hand, die auf der Kante der Theke ruhte, und drückte sie kurz, um Mary zu trösten.
»Tut mir Leid, ich benehme mich wie ein Pferdehintern, ich weiß.«
»Vielleicht hast du Recht, und es ist wirklich nichts daran.« Sie zuckte mit den Schultern.
Er betrachtete sie eingehend, während sie beide einen Schluck tranken. Sie wirkte nicht besorgt. Er wünschte, er könnte mit seinem pingeligen Verfolgungswahn aufhören. Er brauchte dringend Hilfe, und sie bewahrte einen kühlen Kopf, wenn es kritisch wurde. Er vertraute ihr. Warum also konnte er nicht darüber reden, was ihm auf der Leber lag?
»Sie ist aber spurlos verschwunden, ohne jemandem zu sagen, wohin«, sagte er versuchsweise.
»Sie? Meinst du deine Schwester?«
»Ja. Ich habe ihr meine Wohnung gelassen, während ich weg war, aber als ich zurückkam – nada. Nicht mal ein Zettel. Aber sie ist schon immer unberechenbar gewesen. Sie könnte einfach weggefahren sein, und in paar Tagen steht sie wieder vor der Tür. Das macht sie oft.«
»Du hörst dich aber nicht so an, als würdest du das glauben.« Mary leerte ihren Martini und wischte die Finger sorgsam an der Papierserviette ab, nahm sich für jeden einzelnen einen Augenblick Zeit.
»Nicht ganz. Wegen dieser Sache könnten die Medien ziemlich wild werden. Ich traue ihr zu, dass sie sich darauf stürzt, um die Sache der Indianerbewegung voranzubringen. Sie könnte mit ein paar Aktivisten eine Art Protestveranstaltung organisieren.«
Mary nickte. »Sie hätte nie im Reservat bleiben müssen, nicht wahr? Du hast mir schon oft erzählt, du schickst ihr Geld, und sie schickt es zurück.«
»Uncle Sams schmutziger Dollar«, stimmte Jude ihr zu und rümpfte die Nase, weil er an White Horses knappe Ablehnungsbriefe denken musste. »Sie glaubt, sie unterschreibt automatisch einen Schuldschein, wenn sie es annimmt.«
»Wer ist das gemeinsame Elternteil?«
»Vater. Magpie Jordan. Wurde manchmal Joe genannt, hatte aber nie was für christliche Namen übrig.«
»Du hast den gleichen Namen als zweiten Vornamen.«
»Ja. Aber ich benutze ihn nicht. Außer, wenn White Horse in der Nähe ist. Sie mag meinen englischen Namen nicht sehr. Mom hat ihn ausgesucht, und meine Mutter kann White Horse erst recht nicht ausstehen.«
»Hat dein Name irgendeine tiefere Bedeutung? Außer ›Elster‹? Das hast du mir nie erzählt.«
Jude grinste sie an. »Magpie ist ein Name für jemanden, der gern Geschichten erzählt und lügt. Dad verstand sich ziemlich gut darauf. Sehr lustige Geschichten. Meine Mom fand, er sollte sie
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