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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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wütender, weil sie so kurze Zeit später schon wieder hier sein musste. Doch Jude war Vergangenheit, und statt seiner war ihr Vater bei ihr, stand dort wie ein Trottel, hörte ihr kaum zu und wünschte insgeheim, er wäre wieder in seinem Schlupfloch von amerikanischem Labor, wo jeder ihm mit Ehrfurcht begegnete und ihm gehorchte.
    Was immer die Selfware für Natalie getan hatte – und sie wusste, es war eine Menge –, die Hutschnur riss ihr noch immer genauso schnell wie früher.
    Ihr Vater blickte von dem Tee auf, den er gerade bereitete – so langsam, präzise, pedantisch, dass es sie zum Wahnsinn trieb –, und nickte. »Du solltest froh sein, dass du hier bist. Ich musste jeden Gefallen einfordern, den man mir schuldig war, um dich freizubekommen. Und morgen brechen wir auf. Du solltest dich ein wenig besinnen.«
    Natalie pickte mit dem Finger an einer Naht in der Tapete, während sie am Aga-Kühlschrank lehnte. Sie wollte damit aufhören, doch der Reiz durch den Widerstand des Papiers und seine Rauheit waren zu stark. »Du hast mich nicht einmal gefragt, ob ich mitkommen möchte. Der Brief ist ein Angebot, kein Marschbefehl.« Sie wusste, sie klang wie ein verzogenes Balg. Unter den Bewegungen ihres Fingernagels riss das alte Papier endlich. Sie stopfte die Hände in die Hosentaschen und fauchte Calums breiten Rücken lautlos an.
    »Kommst du mit?« Er drehte sich um und stellte Teekanne und Tassen auf den Tisch.
    Natalie wollte keinen Tee. Was sie wollte, wusste sie zwar nicht zu sagen, aber auf jeden Fall schlossen ihre Wünsche ein, dieses Haus so schnell wie möglich zu verlassen und etwas sehr Drastisches, Endgültiges und vorzugsweise Gewalttätiges zu begehen. Als sie sich setzte, spürte sie das unterdrückte Verlangen bis in die Zehen, und sie begann, mit den Füßen auf den Boden zu trommeln. Der eine Fuß klopfte einen Vierviertel-, der andere einen Fünfachteltakt.
    »Hör schon auf damit!«, rief ihr Vater.
    Sie drückte die Zehen auf die Steinfliesen und hielt sich mit den Händen an der Tischkante fest.
    »Wie ich es sehe, habe ich allein dann eine Chance, darüber zu bestimmen, was mit mir passiert, wenn ich mitkomme, also ja. Keine schwere Entscheidung. Ich kann nur Dan nicht einfach so ohne ein Wort zurücklassen. Ich muss ihn noch mal sehen. Du weißt, dass sie ihn sofort feuern, wenn sie erfahren, dass er auf der Arbeit high gewesen ist.«
    »Und völlig zu Recht.«
    »Hmm.« So richtig das war, hatte Dan doch nichts mit der Sabotage zu tun, und Natalie befürchtete, dass man versuchen könnte, sie ihm in die Schuhe zu schieben. Einen praktischeren Sündenbock gab es kaum.
    »Was sagen deine Werte heute Morgen?«
    Natalie schnappte in die Gegenwart zurück und blickte ihren Vater an. Die Messwerte des Scanners zu deuten war zu einem Ritual geworden wie das Werfen der Runenscheiben oder das Kartenlegen, und dabei war es erst der zweite Tag.
    »Verborgener Drache«, sagte sie und goss sich zuerst Tee ein, damit er den stärkeren bekam. »Nicht handeln.«
    Er funkelte sie an.
    »Nach allem, was die Daten uns verraten, könnten sie genauso gut aus dem I-Ging stammen. Jedenfalls denke ich genau das, was ich gesagt habe. Ist dir meine Auswertung nicht gut genug?«
    Calum sah aus, als hätte er am liebsten den Raum verlassen, doch er blieb sitzen, schenkte sich Tee ein und hörte ihr weiter zu.
    »Ich muss hier weg«, sagte sie und trank. »Ich halte es nicht mehr lange aus.«
    »Die Arbeit lenkt dich ab«, meinte er.
    »Ja«, sagte sie unsicher und stand auf; die Teetasse nahm sie mit. »Na, ich probier’s mal.«
    Er seufzte, doch als sie ihren verdunkelten Raum im obersten Stockwerk erreichte, hörte sie, wie er die Tür seines Studierzimmers zuschlug. Das Geräusch kroch ihr den Rücken hoch.
    Verborgener Drache. Das und nichts anderes war es.
    Sie fuhr die Projektionswand hinunter und rief ihre Werte und die dazugehörigen Karten und Grafiken auf, umgeben von den schwarz-weißen Isobaren ihres frühesten Versuchs. Mein Wunsch hat sich erfüllt, ich habe es endlich geschafft, dachte sie, während sie auf die gewaltige Menge an Informationen starrte, die in diesem Wald aus Linien verborgen lagen und darauf warteten, verstanden zu werden.
    Die Post-Selfware-Werte behaupteten vieles über sie, das früher nie der Fall gewesen war. Sie zeigten, dass ihre Reaktionen beschleunigt und ihre Hirnhälften präzise balanciert waren und sich in der Dominanz abwechselten, und dass ihre Erinnerungen

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