Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
Vom Netzwerk:
schärfer waren. Sie war nun in der Lage, erheblich kleinere Änderungen als vorher zu erkennen und auszuwerten. Ihre Sinnesverarbeitung war genauso weit entwickelt wie bei den sensitivsten Menschen, die man je untersucht hatte.
    Sie kam sich vor wie früher – vielleicht etwas farbiger. Andererseits betrachtete sie alle Erinnerungen durch die neue Linse des veränderten Selfplex. Woran sollte sie erkennen, ob sie sich verändert hatte? Seit sie ein Kind war, hatte sie sich sehr verändert, doch das konnte man nur am Unterschied selbst erkennen. An seinem Ausmaß. Man bemerkte nur signifikante Veränderungen und erinnerte sich daran, und was nicht in diese Kategorie fiel, bestärkte die Illusion, die Welt wäre meist stabil. Die Natur der Illusionen hing ganz davon ab, wer sie träumte. Während Natalie sich veränderte, hatten auch die Illusionen sich verändert, und ihre Erinnerungen gleich mit.
    Ein schwacher Luftzug strich ihr über den Nacken. Jemand hatte das Zimmer betreten.
    »Es ist schlimmer, als Sie glauben«, sagte eine ruhige, in sich gekehrte Stimme hinter ihr. »Oder es wird schlimmer.«
    »Bobby!« Sie fuhr mit dem Sessel herum; Furcht und Freude zugleich überkamen sie.
    Dort stand er, nicht in Klinikkleidung, sondern in Jeans und T-Shirt, die ihm gehörten, und mit Arbeitsschuhen an den Füßen. Er zuckte kraftlos die Achseln, um sich für sein unvermitteltes Auftauchen zu entschuldigen. Natalie merkte ihm an, welche Anstrengung es ihn kostete, auch nur diesen geringen Grad an Umrissenheit aufrechtzuerhalten. In ihren Knochen spürte sie selber den Sog, den frohlockenden Tanz der Atome, der ihn fassen und in sein chaotisches Gleißen zerren wollte. Er war ganz benommen von der Verlockung.
    »Ich hatte Recht, was die Information und die Energie betrifft«, sagte er verdrießlich. Er hatte die Daumen in den Hosenbund gehakt und ließ den Kopf hängen. »Das Problem ist die Umschaltung. Nimmt man die Information weg, kann man sie nur schwer wieder einbauen. Zu viel und …« Er unterbrach sich und hob den Kopf. »Die Zeit ist das Problem. Man vergisst.«
    Natalie vergaß keineswegs, dass er sich aus dem Nichts materialisiert hatte. Doch weil eindeutig Bobby vor ihr stand und sie begriff, was mit ihm geschehen war, fürchtete sie sich nicht; sie bestaunte es, auch wenn sie es beiseite schieben musste, um tun zu können, was getan werden musste.
    »Was geht mit Ihnen vor?«, fragte sie und trat unsicher auf ihn zu.
    Bobby drehte sich um und hielt den Abstand zu ihr; er bewegte sich so vorsichtig wie eine schleichende Katze – seinen neuen Wahrnehmungen traute er noch nicht recht.
    »Materie«, sagte er und blickte mit offensichtlicher Neugier aus dem Fenster, als gehörte es zu einem Aquarium voll exotischer Fische, »besteht aus Energie plus Information. Sie und ich, unsere Körper sind Materie. Unser Bewusstsein basiert darauf. In unserem Bewusstsein gibt es nirgendwo ein Eckchen, das nicht aus einem Fluss von Information und Energie auf klassischer Ebene besteht. Auf der klassischen Ebene kann Materie ab einer bestimmten Dichte sich nicht den Platz mit anderer Materie teilen. Sie und ich, wir können nicht durch einander hindurchgehen. Auf der Quantenebene jedoch kann alles sich durchdringen. Doch dieses Durchdringen führt zu Zustandsänderungen, zu Informationsänderungen. Jede Änderung bringt Verlust mit sich und erzeugt Anomalien. Die Verluste addieren sich rasch. Die Anomalien wachsen. Vergessen tritt ein. Wenn die Information nicht vom Prozess isoliert ist, wie kann, was war, wieder den gleichen Zustand einnehmen? Er ist ähnlich, aber er ist nicht mehr gleich. Neuorganisation ist möglich, aber der alte Zustand geht für immer verloren.« Er drehte sich ihr wieder zu und straffte die Schultern. »Je länger Sie auf der Quantenebene bleiben und mit niedrigeren Organisationsniveaus wechselwirken, desto mehr verlieren Sie. Vielleicht ist das besser so.«
    Er blickte sich im Raum um, nahm ihn in sich auf, und schaute dann sie an. Sein Gesicht war müde und traurig. Wenn es jemanden gab, der von seiner Sicht der Wirklichkeit noch weniger begeistert war als Bobby, so hatte Natalie den Betreffenden noch nicht kennen gelernt – und sie kannte viele solche Fälle.
    »Wohin gehen Sie – was meinen Sie? Wie können Sie auf Quantenebene existieren?«, fragte Natalie.
    »Sie können durch die Tür dort gehen«, sagte er. »Ich aber kann durch Gegenstände hindurch, die für Sie fest und

Weitere Kostenlose Bücher