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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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undurchdringlich sind. Doch sobald man es begriffen hat, findet man dort Zwischenräume genug. Auf dieser Ebene hat man allen Raum der Welt.« Er grinste matt. »Mit Sprache lässt es sich nicht richtig ausdrücken.« Sein Blick verriet, dass er ihr auf keine Weise erklären konnte, was er ihr sagen wollte.
    Natalie wusste nicht, was sie sagen sollte. In ihm schien sich das Tragische kristallisiert zu haben. Für sie stand fest, dass etwas geschehen war, das sich nicht allein mit dem Wirken von Selfware erklären ließ. »Sie sind nach Hause gegangen«, sagte sie; so viel wusste sie noch.
    Er nickte. »Zum letzten Mal.«
    »Ihre Familie hat Sie nicht gesehen?«
    »Doch«, sagte er und zuckte wieder mit den Achseln. »Vielleicht bin ich tot. Ich werde sterben. Was soll’s?« Er riss sich zusammen. »Aber ich bin gekommen, um Sie um Verzeihung zu bitten, dass ich es auf Sie übertragen habe. Das war mein Fehler. Ich wusste nicht, was ich tat, aber ich habe es getan. Ich sehe nun, dass es mit Ihnen nicht so weit gekommen ist wie mit mir, und das ist gut. Sie haben noch nicht zu viel erfahren. Sie sehen nicht alles so wie ich.« Er nickte ihr zu, und die Andeutung eines Lächelns zog über sein Gesicht. »Das ist gut.«
    Natalie hatte eine Million Fragen an ihn. Für sie bestand kein Zweifel, dass Bobby ihr alles hätte erklären können, was sie je über die Welt und das menschliche Denken erfahren wollte.
    »Was wollen Sie jetzt tun?«, fragte sie. Ihr war kalt. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, aber das half nichts. Trotzdem hätte sie die Hand ausgestreckt, um ihn zu trösten, doch das wollte er nicht; sie hätte es nicht ertragen können. Unbekannte hatten ihm sein Leben gestohlen und standen kurz davor, auch das ihre zu rauben. Seine Antwort bestätigte ihre Wahrnehmung.
    »Zahlen Sie es ihnen heim. Sorgen Sie dafür, dass es nicht nach ihrer Nase läuft. Sind Sie dazu bereit?«
    Natalie fand, dass sie nicht einmal annähernd genug wusste, um eine Entscheidung zu fällen, doch andererseits – wann wusste man jemals genug, um sich wirklich sicher zu sein? Sie glaubte, sehr wohl eine Idee zu haben, weshalb Selfware ausgeführt worden war.
    Bobby sagte: »Es ist eine Erprobung. Sie wollten sehen, ob es bei jedem funktioniert. Das System, das Sie erfunden haben, kann jedes Mindware-System an jedes Gehirn anpassen, in dem es sich wiederfindet. Deshalb benutzen sie es, denn sie sind im Moment noch nicht so weit, dass ihr System sich selbstständig an den Kandidaten anpasst. Es ist völlig nutzlos, solange man es nicht als Mittel einsetzt, um ein Gehirn in den gleichen Zustand zu bringen, den ein anderes bereits innehatte. Deshalb haben sie mit mir experimentiert.«
    Natalie stimmte ihm zu. Er hatte ihren Verdacht soeben laut und deutlich ausgesprochen. Sie sagte: »Dann dauert es nicht mehr lange, bis Mappa Mundi abgeschlossen ist.« Sie blickte sich um und schaute dann wieder auf seine Gestalt. »Haben Sie dabei meine Gedanken gelesen?«
    »Eigentlich nicht«, entgegnete er. »Es gibt aber einen Punkt, an dem die Bandbreite der Wahrnehmung sich ändert, und danach sind sie leicht zu erkennen.«
    Seine gespielte Tapferkeit von eben war nicht mehr als eine Geste, dachte sie, ein Schütteln der Faust angesichts eines siegreichen Feindes, und er stimmte ihr zu.
    »Mir fällt nichts ein, was man sonst noch tun könnte«, sagte er und streckte die Hände aus. »Hier bin ich und lebe auf meine Art noch immer. Ohne Familie. Ohne Bindungen.« Er lachte, hohl und hauchig, als ihm die Ironie bewusst wurde. »Ich verstehe – aber hinter allem ist der, der alles sieht, immer noch ich. Ian. John. Detteridge. Aber was bedeutet das? Eigentlich nichts. Er war eine Idee in meinem Kopf. Er ist jetzt tot, aber er kann nicht ich gewesen sein, denn ich bin hier.«
    Er wandte sich ganz dem Fenster zu und blickte sehnsüchtig auf den ergrauenden Himmel und die Straße hinaus. »Ich brauche etwas. Ich muss leben.« Er packte den Fensterrahmen, und Natalie sah, wie die Haut dort weißer wurde, wo sie gegen das gestrichene Holz drückte. Er atmete schneller, und seine Schultern bebten, seine Stimme wurde rau vor Leidenschaft.
    »Und ich will, dass das etwas bedeutet. Ich weiß, dass ich jetzt etwas Anständiges tun könnte, wenn ich nur die Chance hätte. Das würde ich. Wenn ich nur wüsste, was. Wenn nur jemand was davon hätte. Aber wenn das nicht klappt … nun, dann tue ich das Nächstbeste und kümmere mich um die Hundesöhne.

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