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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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Fehlers vor Natalie die Tür geschlossen. Doch ihre Liebe war anders. Charlotte, Dan, Jude. Sie ließ niemanden in Vergessenheit sterben. Und darin lag die Schwäche ihrer Liebe. Sie ließ überhaupt niemanden mehr los. Während er also hier bei ihr saß, aber in der Vergangenheit verloren war, brachte sie die Vergangenheit zu sich in die Gegenwart, einen erstarrten Traum, losgelöst von der Wirklichkeit, in der er existieren wollte.
    Natalie konnte sehen, wie wahr das war. Jeder ist ein Gespinst aus Träumen. Was wir als Wirklichkeit bezeichnen, ist das tragende Netz. Doch unter den zerbrechlichen Fäden, die uns verbinden, darunter … war ihr Vater ein müder alter Mann, der zu spüren begann, dass das, was ihm einst wichtig erschienen war, vielleicht nicht mehr war als Schatten in seinem Geist. Charlotte hatte ihn verlassen, weil sie bei ihm nicht sie selbst sein konnte. Sie wäre niemals zu ihm zurückgekehrt. Seine Entschlossenheit, auch der unerträglichsten Wahrheit mit Ruhe und Logik gegenüberzutreten, hatte er als Schild benutzt, um von sich abzuhalten, was er fürchtete. Doch die unerträglichste Wahrheit findet man nicht draußen in der physischen Welt. Sie existiert im Reich der gemeinsamen Fantasie, der Welt, die niemals zu betreten er vorgetäuscht hatte.
    Natalie sann über Jude nach. War sie für ihn Teil einer Fabel gewesen? War er für sie nicht mehr als eine romantische Illusion? Was bedeuteten diese Fragen überhaupt, wenn der, der sie stellte, selbst Gegenstand der Frage war?
    Die Raute sichtbaren Himmels draußen vor dem hohen Fenster war blau und verdunkelte sich allmählich in der Dämmerung. Natalie sah zu, wie sie die Indigotöne durchlief und schließlich schwarz wurde. Sie legte die Hand auf ihres Vaters Kopf und lauschte auf seinen ruhigen, beschwerlichen Atem.

 
12
     
     
    Mary las die Berichte über die britischen NervePath-Experimente und empfing um sechs Uhr am nächsten Morgen in der Turnhalle Guskows Liste aus Dix’ Büro. Was bei der Audiozusammenfassung des Pads beider Nachrichten hervorstach, war der Name »Natalie Armstrong«. So überraschend drang dieser unerquickliche Name im beiläufigen Plauderton aus dem Ohrhörer und überraschte sie doch wieder so wenig, dass Mary auf halber Höhe ihrer Appalachen-Bergradelstrecke fast vergessen hätte, in die Pedale zu treten. Nur unter Aufbietung aller Willenskraft konnte sie sich wieder auf den Moment konzentrieren; sie legte sich heftig ins Zeug und bewahrte sich vor einem unangenehmen Sturz, denn das Hinterrad drehte durch und brach zur Seite aus, als das Velotheater im gleichen Moment den Verlust von Reibung auf loser Erde simulierte.
    Mit den Schaltern des Fahrrads ersetzte sie den erhabenen Anblick schneebedeckter Gipfel durch einen langen, flachen Highway, dann legte sie die Berichte auf die Bildschirme vor ihr. In leuchtenden Farben überlagerten die Buchstaben die Landschaft; weiterführende Links waren rot unterlegt, blau die Neuigkeiten, die aus abgeschirmten Quellen stammten, alles andere grün. Dix’ Recherchetrupp wirft mit seiner Energie nur so um sich, dachte sie und erinnerte sich an ihre eigene Dienstzeit in diesen Büros. Von dort wurden ganze Staffeln von Datapilots durch die Netzwerke gelenkt, und das Tagewerk bestand darin, alles durchzulesen, was sie fanden, ob es nun um Seesterne oder um Pharmazeutika ging. Die Versetzung zum FBI hatte eine merkliche Beförderung bedeutet. Selbst jetzt schenkte ihr der aufwallende Stolz, dass man sie ausgesucht hatte, die Karriereleiter auf der Überholspur zu erklimmen, solch einen inneren Energieschub, dass ihr Tachometer plötzlich über neunzig Stundenmeilen anzeigte.
    Sie überflog die Details von Armstrongs Alltagsleben, die sie bereits kannte, blätterte den Text weiter vor zu den Mutmaßungen über das Problem Patient X und verzog das Gesicht wegen der überholten Daten, die ihre Exkollegen für erwähnenswert hielten.
    Die Theorie des Quantenbewusstseins legt die Möglichkeit nahe …
    Nichts dergleichen tat sie und war ohnedies schon längst als höchst unwahrscheinlich diskreditiert worden, erinnerte sich Mary. Wenn es darum ging, seine Hausaufgaben in Sachen Fakten zu machen, konnte der Trupp sich von Special Sciences eine Scheibe abschneiden. Vermutlich fügten die Rechercheure alles in den Bericht ein, was ihnen in die Finger kam, um sich abzusichern – keine dumme Angewohnheit, wenn man für das US-Verteidigungsministerium arbeitete.
    Das Band kann eine

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