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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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überlebensgroßen Soldaten wirkten halb aufgelöst; sie schienen aus der Erde aufgestiegen zu sein, Geschöpfe des Schlamms, in den sie gleichzeitig schon wieder niedersanken. Gleich neben dem Mann mit dem Funktornister entdeckte er Nells schlanke, adrette Gestalt, die langsam vor dem Denkmal entlangschlenderte und dabei ein Plunderteilchen aß. Jude berührte sie am Ellbogen, als er neben sie trat.
    »Guten Morgen.«
    »Jude.« Sie schluckte rasch und tupfte sich den Mund mit einer Papierserviette ab. »Hier, zuallererst das«, sagte sie und drückte ihm die Ampulle, noch warm von ihrer Tasche, in die Hand. Als sie ihm in die Augen blickte, lief ein Schatten von Furcht und Abscheu über ihre Maske aus guter Laune. »Bringen Sie mir nie wieder so etwas«, wisperte sie. »Kommen Sie damit nie wieder in meine Nähe. Himmel, ich wusste nicht mal, dass es so was gibt. Wissen Sie eigentlich, dass ich bis heute Morgen gebraucht habe, um herauszufinden, wozu das gut ist?«
    Nell war tatsächlich grau im Gesicht und wirkte ausgezehrt. Jude entschuldigte sich und lud sie zu einem besseren Frühstück ein, doch sie lehnte ab. Sie verlangte, dass er die Ampulle in die Jacke steckte, und sagte: »In diesem Zustand ist es nicht lebensgefährlich. Wenn Sie die Ampulle zerbrechen, müssen Sie nicht etwa sterben.« Sie warf die ungegessene Hälfte ihres Teilchens in einen Mülleimer. »Aber wenn Sie das mit etwas anderem kombinieren, erhalten Sie eine wirksamere Seuche als den schwarzen Tod zu seiner Blütezeit.«
    Während sie in Richtung Capitol spazierten, wartete Jude darauf, dass Nell mit ihrer Erklärung begann, doch er ließ ihr Zeit.
    »Die Dinger in Ihrer Ampulle ähneln Micromedica. Allerdings handelt es sich dabei um eine Art Hybrid. Sie sind nicht einfache untätige Geräte, sondern fast lebendig. Oberflächlich sehen sie aus wie ein kleiner Organismus, eine Art Virus, nur größer. Sie haben auch ähnliche Eigenschaften: Sie dringen in Zellen ein und benutzen den Wirtskörper, um sich in großer Zahl zu replizieren. Dadurch entstehen Symptome wie bei einer Virusinfektion: Husten, Schnupfen, stark gesteigerte Histaminproduktion und so weiter. Nun, sie haben aber eine andere Funktion. Ich halte sie für eine Art Mantel, eine Hülle, in der etwas anderes in den Körper eingeschleust wird.«
    »Ein freisetzendes System?«
    »Genau, und ein sehr ausgeklügeltes.« Sie holte tief Luft und atmete beständig wieder aus. »Der Innenraum dieser Dinger ist groß genug, um mehrere Viren oder ein recht großes Bakterium aufzunehmen, eine gehörige Dosis eines Wirkstoffs oder … na, Sie wissen schon, alles Mögliche in dieser Größenordnung. Aber, und das ist der springende Punkt …«, als sie ihn anblickte, hatten sich tiefe Sorgenfalten in ihr Gesicht gegraben, »sobald sie sich replizieren, vermehren sie auch das, was sie in sich tragen.«
    Jude schnaubte und schüttelte den Kopf. »Das kann nicht sein«, sagte er. »Das ist unmöglich. Haben Sie das ausprobiert?«
    »Selbstverständlich«, entgegnete Nell knapp. »Ausprobiert habe ich einiges. Ich habe eine Zellkultur damit geimpft und die Dinger in alles Mögliche gegeben, angefangen bei Salzsäure bis hin zu Wackelpudding. Unmöglich oder nicht, Sie können mir glauben, wenn sie die nötigen Rohstoffe haben, erzeugen sie eine perfekte Kopie von sich.«
    »Was meinen Sie mit Rohstoffen?«
    »Wasser, Salze – sie brauchen eine bestimmte Bandbreite organischer und anorganischer Baustoffe. Sie benötigen einen Wirtskörper, haben allerdings auch eine gute Stunde in verdünnter Mineralsäure überstanden. Sie sind ziemlich zäh.« Sie schüttelte den Kopf, schob die Hände tief in die Hosentaschen und scharrte mit den Schuhen über den Boden. »Wer immer es entwickelt hat, muss ein Einstein der Mikrobiologie sein. Aber begreifen Sie nicht das Problem? Massenvermehrung – und die Fähigkeit, alles Mögliche in sich zu tragen? Es muss einen Auslöser geben, der den Inhalt freisetzt – und den kenne ich nicht. Eine bestimmte Bevölkerungsdichte. Ich kann es eben nicht sagen. Auf jeden Fall lassen sich damit aus gewöhnlichen Bazillen tödliche Krankheiten machen. Binnen kurzem sättigen sie den Organismus, und das Immunsystem hat keine Zeit, mit der Abwehr zu beginnen. Man könnte an einem Schnupfen sterben.«
    »Aber wenn diese Dinger eine Art Medikament tragen«, erwiderte Jude, »könnten sie eine Krankheit doch auch sehr schnell heilen?«
    »Das wäre möglich«, stimmte sie

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