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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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und sie versetzte sich selbst dorthin, hinter die Augen, die das Motiv gesehen hatten.
    Hatte sie gewusst, dass sie sterben würde, als sie an Bord des Flugzeugs ging?
    Wie konnte unter diesen Wetterbedingungen jemand bei vollem Verstand mit einem Zweisitzer das Kap zu umfliegen versuchen? Hat sie uns geliebt? Warum hat das nicht gereicht?
    Natalie hörte, wie die Küchenuhr leise halb sieben schlug. Irgendwo lagen die Antworten, verborgen in einem fernen Winkel der Raum-Zeit. Während ihrer Abwesenheit hatte Natalie auf der Grundlage ihrer Karte der bekannten Ereignisse eine Geschichte gesponnen. Doch solche Karten sind stets lückenhaft, und deshalb ist alles Begreifen immer nur eine Geschichte, und nicht mehr. Natalie selbst war eine Geschichte, ein Konstrukt aus Gründen und Zusammenhängen und Ideen, zusammengehalten von erzählerischen Verknüpfungen, die zu glauben sie sich entschieden hatte. Was, wenn keine davon der Wahrheit entsprach?
    Natalie drückte die Postkarte wieder an ihren Platz, doch sie wollte nicht kleben. Sie legte sie auf den Schreibtisch. Alles, was sie seit dem Augenblick getan hatte, in dem Charlotte vom Blitz getroffen ins Meer gestürzt war, schien ihr durch die Elektrizität bestimmt gewesen zu sein, die plötzlich aus dem Nichts gekommen war. Sie hatte ihre Entschlossenheit geweckt, die Wahrheit herauszufinden, und sie immer dazu angetrieben. Ihr Therapeut jedoch hatte ihr gesagt, dass es sich dabei nur um den sublimierten Wunsch handle, die verlorene Liebe wiederzuerlangen – und war das nicht die traurige Wahrheit? Ein schreckliches Zufallsereignis hatte ihre Träume bestimmt, und hier war sie, den Kopf wieder erfüllt mit ihrer handgefertigten Verleugnung des Geschehenen, mit Träumen und Fragen.
    Jude die Kokette vorzuspielen war nicht mehr gewesen als ein Versuch, Liebe an sich zu reißen – oder nicht? Dan war die Wirklichkeit, und er war fort.
    Er hatte sie um einen Scanner gebeten. Weshalb?
    Natalie stand von der Bank auf und ging in ihr Arbeitszimmer. Sie rief Judes Dateien von ihrer Disk auf und sah sie erneut durch.
    Selbstverständlich wären diese Programme nicht die einzigen, die sich nun im Umlauf befanden, nun, da so etwas einmal möglich war. Warum auf die Vervollkommnung warten, wenn rasch zusammengehackter Ramsch es auch tat? Das war ausgemachter Wahnsinn, und ohne Zweifel gab es noch mehr primitive Befehle: Zuhören und Gehorchen … Vergessen … Gedächtnislöschung war sehr einfach, wenn man sich keine Gedanken zu machen brauchte, ob der betroffene Verstand intakt blieb. Löffel rein und umrühren, wie Jude sich ausgedrückt hatte.
    Wenn Dan dieser Methode zum Opfer gefallen war, erklärte es die Gründe seines Verhaltens. Dann aber drohte ihr weit größere Gefahr als vermutet – sie saß mit dem Kopf voller empfänglicher Naniten herum. Sie musste diese Schnittstelle schließen, bevor jemand anders sie benutzte. Nur wusste Natalie leider nicht wie. Wahrscheinlich konnte jeder Stilllegungsbefehl auch widerrufen werden.
    Sie hörte das Öffnen und Schließen von Türen im Erdgeschoss. Schichtwechsel. Bald schon war es Zeit zum Aufbruch. Natalie hatte auch so schon sehr wenig Handlungsspielraum.
    In ihrem Gepäck hatte sie einen Scanner-Prototyp. Er war bereits verpackt, aber sie ging ihn trotzdem holen. Kaum hatte sie ihn, als sie die neuste Version von Selfware hineinkopierte, einen besonderen Befehl zur zeitbegrenzten Ausführung modifizierte, ihn auf sich richtete und den Abzug drückte. Das Programm sollte sie an einen Punkt bringen, der nur ganz knapp von Bobbys fataler Diskontinuität entfernt war.
    Schon bald war sie entweder so klug, dass sie eine Lösung ersinnen konnte, oder so weit von der Alltagswelt entfernt, dass ihr alles egal wurde. Eine typische Dan-Lösung. Sie lächelte voll Nostalgie, während sie sich über die Unfairness, die Dummheit und die Gier innerlich so bitter und wütend fühlte wie noch nie im Leben.
     
    Jude wurde in der Frühe durch einen Anruf von Nell Rush, der Biologin, geweckt. Sie hinterließ ihm eine Nachricht, sich mit ihr im Einkaufszentrum zu treffen. Das Ansinnen erstaunte ihn nicht sonderlich; in der Nähe des Gebäudes von Special Sciences sprach sie nur sehr ungern über alles auch nur ansatzweise Unorthodoxe, und Jude bezweifelte nicht, dass als sehr unorthodox gelten musste, was immer Tetsuo in die Ampulle gefüllt hatte.
    Im Bett liegend, blickte er auf die Uhr, lauschte auf den fernen Verkehr und verzog das

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