Mappa Mundi
Gesicht, als er sich an Atlanta erinnerte, an die Szene in der Küche. Während einer akuten Situation fiel es ihm leicht, kühlen Kopf zu bewahren; einen Tag später, wenn alles wiederkehrte und alle abstoßenden Besonderheiten ungemildert zum Vorschein kamen, hatte er es schwerer. Nicht dass er Tetsuo persönlich gekannt hätte, es sei denn als Kontaktmann, mit dem er nur sehr selten zu tun hatte und der aus dem allgemeinen Bestechungstopf bezahlt wurde, aber er war ihm vorher begegnet. Der Anblick von jemandem, der gelebt und geatmet hatte und zu einem Haufen Fleisch inmitten seiner persönlichen Umgebung reduziert war – davon wurde ihm übel. Jude wollte nicht darüber nachdenken, doch er konnte nicht anders. Und diese Katze – was für ein eigenartiges Tier. Doch sie war nur ein Tier. Warum also hielt er sie für das abstoßendste Wesen, das er je gesehen hatte?
Er musste aufstehen und sich duschen, um den Gedankengang aufzuhalten, bevor er sich weiterentwickeln konnte.
Als er aus dem Bett stieg, war White Horse bereits angezogen und machte Kaffee.
»Mary sucht mir eine gute Anwaltskanzlei«, sagte sie. »Und einen genauso guten Journalisten.«
»Mm-hmm.« Wenn jemand das konnte, dann Mary. Nett von ihr, dieses Angebot. Er rief sie an, aber der Antwortdienst und der Einteiler des Büro erklärten ihm, sie komme an diesem Tag nicht ins Büro, sondern erledige zu Hause Arbeit und wolle nicht gestört werden. Das war in Ordnung; dadurch hatte Jude Zeit, mit Nell Rush zu sprechen.
»Was machst du heute?«
»Nicht viel«, antwortete White Horse. »Heute Nachmittag habe ich eine Videokonferenz mit dem Gemeinderatstreffen in Deer Ridge. Heute Morgen möchte ich spazieren gehen.«
»Bleib lieber hier«, entgegnete er; ihm behagte der Gedanke nicht, dass sie allein unterwegs war.
»Sicher«, sagte sie, doch ihre Miene verriet, dass sie nicht beabsichtigte, seinen Rat zu beherzigen.
»Lass dein Pad die ganze Zeit eingeschaltet. Ruf mich an«, wies er sie an, zog sich die Jacke über und rückte das Pistolenhalfter zurecht. Manchmal verdrehte es sich.
»Benutzt du die Waffe oft?«
»Nein«, sagte er.
»Halt sie sauber.«
»Mach ich.«
»Gut.« Sie wandte sich wieder der Zeitung zu. »Hier steht, Micromedica-Versuche in England hätten gezeigt, dass die NervePath-Neurotechnologie in vivo funktioniert.« Sie sah ihn an, als er bei ihren Worten erstarrte. »Glaubst du, wir sind damit gemeint?«
»Wahrscheinlich.« Die Neuigkeit warf für Jude die Frage auf, was dort drüben vor sich gehe. Kein Wort von Dan, von Natalie oder sonst wem. Jude hatte dort niemanden, der ihm sagen konnte, was mit ihnen war; da kam er nicht weiter. Er zuckte mit den Achseln. »Ich versuche es herauszufinden. Halt dich bis dahin von Schwierigkeiten fern.«
Sie schnaubte, als er ging, und rief ihm hinterher: »Übrigens hat dir Onkel Paul noch mehr von seinem Überschuss an Erdnussbutter geschickt. So was bekommst du nicht in Washington, sagt er immer. Ich hab sie unter die Spüle zu den anderen Dosen gestellt. Wann wirst du sie essen? Sie halten sich nur noch ein paar Jahre.«
»Ich hasse das Zeug«, sagte er und hatte augenblicklich das Gefühl, ihm klebte die Masse am Gaumen, während die kleinen Stückchen sich wie von selbst zwischen Backenzähnen und Zahnfleisch verkeilten. »Such dir eine Wohlfahrtsorganisation, der du es spenden kannst.«
»Du bist seine Wohlfahrtsorganisation. Das ist ein Care-Paket. In Washington gibt es nur hochgestochenes Essen. Ein ökobewusster Yuppie bekommt nicht genug Kalorien.« Sie kicherte. Beide wussten sie sehr gut, dass Onkel Paul außerordentlich fettleibig war, weil er Nahrungsmittel als den besten Schutz vor den meisten Übeln der Welt betrachtete.
»Ich bin ihm auch wirklich dankbar.« Er blinzelte ihr zynisch zu und wunderte sich, während er die Tür schloss, wie um alles in der Welt seine Familie drauf sei. Er war tatsächlich dankbar, aber verwirrt. Erdnussbutter. Jeden Monat schickte Paul ihm eine ganze Badewanne voll davon. Jude besaß genügend Erdnussbutter, um ganz allein eine Stiftung zur Rettung der Dritten Welt zu gründen. Er musste jemanden suchen, der Erdnussbutter wirklich mochte, aber er vergaß ständig, sich darum zu kümmern.
Der Zeitungsartikel veranlasste Jude, Nostromo auszusenden, um alle Beiträge zu diesem Thema aufzuspüren. Er bekam gerade eine Liste herein, als er den Rasen vor dem Ehrenmal des Koreakriegs erreichte und sich nach Nell umschaute. Die
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