Mappa Mundi
die Verschlüsselungsverfahren der Banken wären so gut, wie ständig behauptet wurde.
Während Ray darauf wartete, dass jemand einen Gefallen einlöste, den er ihm schuldete, musterte er Natalie mit wiederhergestellter Selbstsicherheit.
»Also wissen Sie auch nicht, wo Connor ist, dieses verlogene Stück Dreck«, sagte er. »Abgehauen ist er also? Nach diesem Unfall, oder was das war. So ein armer Hund liegt doch tot in der Schublade, weil sie ihm Ihretwegen im Hirn rumgestochert haben, richtig? Oder ist er Ihnen auf dem OP-Tisch verreckt, und Sie vertuschen es nur? Sie kotzen mich an, wissen Sie das? Ich würde Sie eher mit Bleistiefeln in den Fluss schicken als Ihnen zu helfen, egal, was Sie jetzt vorhaben. Auf jeden Fall ist es ein Verbrechen an der menschlichen Natur!« Er verzog die lächelnden Lippen zu einem höhnischen Grinsen. »Und sagen Sie Connor, dem Blödmann, dass ihm das Gleiche blüht, wenn er nicht bald liefert.« Er sendete die nötigen Dateien mit einem Hieb seines Zeigefingers an ihr Pad.
Rays Leibwächter brachte ein Pint Bier auf einem Tablett.
Natalie stand auf, um zu gehen, nahm dann aber das Glas vom Tablett und täuschte vor, es Ray hinstellen zu wollen. Dann aber blickte sie ihm in die Augen, lächelte ihn voller Abscheu an und goss ihm den Inhalt des Glases über den Kopf.
»Danke für die Belehrung.« Sie stellte das Glas aufs Tablett zurück, während beide Männer sie wie gelähmt anstarrten, die Schultern steif vor Unglauben. Schaumiges Bier tropfte Ray vom Kinn. Wie huschende Mäuse liefen ihm Tropfen über die steifen gewachsten Strähnen seines Haars.
»Ich finde allein hinaus.«
Natalie rechnete damit, das Tablett gegen den Kopf geschmettert zu bekommen, doch in den letzten Tagen bewegte sie sich sehr flink, und die Männer waren nicht schnell genug. Unbehelligt erreichte sie den öffentlichen Schankraum und die Straße.
Ihr Frohlocken über den teeniehaften Sieg über Ray hielt jedoch nicht an, denn er hatte noch immer ihr Geld, und mehr besaß sie nicht. Als sie in den Expresszug zum Flughafen stieg, versuchte sie noch einmal, Dan zu erreichen, wieder erfolglos: Erneut teilte sein Pad ihr mit, er sei nicht zu erreichen. Es nahm ihre Nachricht auf: ein langes, unbehagliches Schweigen.
Im Büro arbeitete Jude sehr unproduktiv. Er drehte die Ampulle zwischen den Fingern, doch das half ihm nicht beim Nachdenken. Trotz der Klimaanlage schwitzte er unter den Armen, und die kalten Flecke, wo das Hemd ihm an der Haut klebte, fühlten sich an, als wäre sein Körper dort abgestorben. Immer wieder sah er Tetsuos erstauntes Gesicht vor sich und die Schnurrhaare dieser verdammten Katze. Ihre riesigen Augen hatten ausgesehen wie Antennenschüsseln, mit denen sie Judes Gedanken auffing. Diese Augen hatten beobachtet, wie Tetsuo erschossen wurde. Wenn es nur möglich gewesen wäre, Katzen in einen Scanner zu stecken und ihre Gedanken einzulesen … Mittlerweile musste Judes DNA in der Wohnung entdeckt worden sein. Vielleicht waren sie schon unterwegs, um mit ihm zu sprechen oder ihn zu beseitigen – das eine oder das andere.
Er hatte Perez seinen Bericht über Atlanta geschickt. Wahrscheinlich las sie ihn gerade. Das Mappa-Mundi-Projekt lag Jude jedoch noch schwerer im Magen als die Katze. Er sorgte sich um White Horse und zerbrach sich den Kopf über ihre verschwommene Behauptung, die Leute, von denen sie entführt worden war, wollten eine Untersuchung. Er brauchte nichts weiter zu tun, als noch einen Bericht zu schreiben; er hatte die Datei als Beweismaterial und White Horse als Zeugin. Mehr brauchte er nicht …
Oder er konnte sich zurückhalten, bis Mary wiederkam, und sie einweihen. Wenn sie Bescheid wusste, wäre ihm wohler. Jemand musste die Geschichte erfahren, sonst ging alles verloren, wenn sie am heutigen oder einem der nächsten schönen Tage sein Hirn über den Bürgersteig verspritzten. Der Gedanke an den Tod machte Jude hungrig. Es war Nachmittag, und er hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen.
Er hatte gerade am Hotdog-Stand bezahlt, als er einen Anruf von Natalie Armstrong erhielt. Mit dem Hotdog und dem Pad jonglierend, ging er zu einem Grasflecken am Gehsteig und setzte sich mit untergeschlagenen Beinen in den Schatten eines Ginkgo.
Auf dem Display erkannte er Natalie nur an der Hälfte ihres Gesichts unter der großen, dunklen Sonnenbrille und der Baseballmütze. Er sah den dunklen Mund, ernst auf der einen Seite, zu einem leicht zynischen Grinsen
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