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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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Abfälle standen, die nicht vor Ort verbrannt werden mussten. Der Innenhof war zur Außenwelt hin geschlossen, aber eine Tür führte in den Ofenraum, durch den Natalie wieder in die Klinik gelangte. Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, als sie den Waschraum durchquerte und die Fensterhaken löste. Aus einer Kabine holte sie einen Mülleimer und stellte ihn umgekehrt unter das Fenster, sodass sie mühelos auf die Fensterbank klettern konnte. Das Fenster war schmal. Die meisten wären daran gescheitert, und auf der anderen Seite ging es gut anderthalb Meter abwärts, doch sie sah augenblicklich, wie sie sich hindurchwinden musste.
    Zuerst streckte sie den Kopf heraus. Ihre Ohren wurden zurückgestrichen, und die Augen quollen ihr einen Moment lang hervor, dann schlängelte sie ihren biegsamen Körper, bis ihre Brust und die Hüften durch die Öffnung waren. Einen Augenblick hing sie in der Luft, von den gespreizten Beinen gehalten, mit denen sie sich am Fensterrahmen verankerte. Sie streckte die Arme aus, verlagerte ihr Gewicht darauf und tastete mit den Händen langsam die Wand hinab. Sie hielt den Blick auf die Ziegel gerichtet, während ihr Körper sich immer senkrechter neigte … Mit einigen Verrenkungen konnte sie sich mit den Füßen im Fenster halten, bis sie die Hände auf den rauen Boden des Hofes drückte und erst den einen, dann den anderen Fuß löste, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Sie ging einige Schritt weit auf den Händen, dann stellte sie sich mit einem Überschlag wieder auf die Beine.
    In ihrem ganzen Leben hatte sie so etwas noch nicht getan, doch es ging so leicht wie das Luftholen.
    Sie blieb wachsam und glitt in den Schutz der schweren Müllcontainer und der Rollkörbe aus Plastik, die der Wäscherei gehörten. Die Tür zum Ofenraum stand offen, damit die Beschäftigten ihre Karren ungehindert auf den Hof schieben konnten. Der Ofen lief im Dauerbetrieb. Die Gasleitung zischte leise und überdeckte Stimmen und Schritte in dem großen Raum, sodass man sich jemandem unbemerkt bis auf einen Meter nähern konnte. Natalie gelang es, sich hinter dem Hausmeister vorbeizuschleichen, ohne dass er sie bemerkte, und gelangte durch die Tür in einen anderen Gebäudeflügel. Keiner der Beschäftigten konnte wissen, dass sie hier nichts zu suchen hatte, und so ging sie ruhig zum Seiteneingang für das Personal zur Huntington Road, wo das Sicherheitssystem ihr ohne Umstände das Tor öffnete.
    Trotz der relativ einfachen Flucht wusste Natalie, dass sie sich keinen Fehler erlauben durfte, und darum beging sie keinen. Zu wissen, was zu tun war, und es auszuführen war eine mühelose, geschmeidige Abfolge, die ihr ohne Hast gelang.
    Sie eilte Richtung Stadt und bog am alten Hallenbad auf die Haley’s Terrace ein. Mit ihrem alten Pad rief sie sich ein Taxi. Als es Augenblicke später neben ihr am Randstreifen hielt, blieb sie nur lang genug stehen, um ihm den Befehl zu senden, auf der Ringstraße im Kreis zu fahren; dann warf sie ihr neues Pad, bis vor wenigen Minuten ihr bester Freund, durch die Tür auf den Sitz.
    Als ihre Aufpasser um das Gebäude gerannt kamen und nach ihr Ausschau hielten, stand sie schon zwei Straßen weiter an der Haltestelle und stieg in den erstbesten Bus, der vorbeikam. Als die Polizeibeamten begriffen, dass sie nicht im Taxi saß, marschierte Natalie schon die Coppergate entlang zum King’s Arms.
    Ihr war der Gedanke gekommen, dass sie jemanden kannte, der ihr ohne viel Umstände eine andere, vorübergehende Identität beschaffen konnte. Vielleicht wusste er sogar, wo Dan steckte, und wenn ja, konnte sie es ihm womöglich ersparen, von der Ortspolizei zu einer Vernehmung bestellt zu werden.
    Das Hinterzimmer war finster und verräuchert, doch Natalie entdeckte Ray sofort; sie erkannte ihn nach Dans Beschreibung: dicker Mantel, glattes Haar, selbstzufrieden, Bauch vorgestreckt, der Herr des Karpfenteichs. Vor ihm hockte gebeugt ein kleiner Mann, gefangen zwischen dem rosigen Licht der Lampe mit dem gefransten Schirm und dem orangeroten Flackern des unechten Kaminfeuers. Der Mann flehte Ray vergebens um irgendetwas an. Ray grinste, und auf seiner Stirn glänzte eine Mischung aus Schweiß und Haaröl.
    Natalie wusste, dass die vielen Stunden, in denen sie den Psychotikern der Umgegend zugehört hatte, auf keinen Fall verschwendet gewesen waren. Sie legte dem Winseler die Hand auf die Schulter und befahl ihm in freundlichem, aber bestimmtem Tonfall, sich zu verpissen

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