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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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gesprochen hatte. Das bleiche Gesicht zeigte keine Gnade, während Natalie zu reden versuchte, und da wurde ihr klar, dass Dan sterben würde, weil sie, Natalie, der kluge Kopf Großbritanniens, nicht weiterwusste.
    »Lassen Sie ihn gehen«, flehte sie wispernd, ohne sich zu schämen. Sie versuchte, ihre Gefühle in das Objektiv des Pads zu gießen, in dieses leere Statuengesicht. »Ich stimme zu. Ich bin ohnehin auf dem Weg nach Washington. Ich mache keinen Ärger mehr. Ich tue, was immer Sie sagen. Lassen Sie ihn gehen. Bringen Sie ihn in ein Krankenhaus! Bitte.«
    Die Frau mit den kastanienbraunen Haaren nickte, und ihre Locken schlugen munter gegen ihren Hals. Dann drehte sie sich um und deutete mit dem Scanner wieder auf Dan. Natalie begann zu schreien.
    »Nein! Nicht!«, kreischte sie wütend und schüttelte das Pad. »Lassen Sie ihn in Ruhe!«
    Doch Dan ergriff das Wort und sprach im beiläufigen Plauderton, mit seiner Imitation eines englischen Landadligen, und was er sagte, stammte wortwörtlich aus dem Bericht, den Natalie erst vor vierundzwanzig Stunden verfasst hatte:
    »Das an Bobby X getestete Selfware-Programm stellt ein lernfähiges System dar, das innerhalb der Rahmenvorgaben die kognitiven Fähigkeiten des Wirtes bis an ihre Grenze maximiert. Die Geschwindigkeit der Veränderungen wird durch vorher existente Strukturen und Potenziale bestimmt. Nachdem die Veränderungen erfolgt sind, wird das NervePath-System zu einem Symbionten innerhalb der Wirts-ZNS. Jeder Versuch, das Wirken der NervePath-Naniten zu unterbinden oder sie zu entfernen, führt wahrscheinlich zu einem augenblicklichen und völligen Stillstand jeglicher neuraler Aktivität.«
    Er grinste, winkte ihr schwach zu und fand im letzten Augenblick zu seinem alten Selbst zurück. »Natalie, stell dir das mal vor, Mädel.«
    Sein Körper klappte zusammen, als seine Gelenke nachgaben, und er lag auf dem Boden, den Kopf von ihr weggedreht. Unter ihm breitete sich auf dem verkommenen Teppich die Blutlache aus; ein langer Schatten von der sinkenden Sonne. Er lag still.
    Die Aufpasser stiegen gleichgültig über ihn hinweg, als er wäre er ein Sack voll Müll.
    Die schöne Frau kehrte ein letztes Mal auf den Bildschirm zurück.
    Natalie sah ihr über die Leitung in die Augen und dachte: Dich kriege ich. Und du wirst dir wünschen, mich nie gesehen zu haben. In ihr bewirkte eine Veränderung der Selfware oder eine Veränderung ihres Ichs, dass alle Unsicherheit zusammenschmolz und zu etwas Festem, Absolutem erstarrte. Sie begriff, weshalb Bobby noch auf der Welt bleiben wollte, um etwas geschehen zu sehen.
    »Wir schicken Ihnen einen Wagen.« Sie war so herzlich. Echt professionell. Sie war stolz auf ihr Verhalten, als wäre es ein geschäftlicher Kniff, etwas Cleveres, ein Trick, den sie schon oft angewendet hatte. Darin lag ihre Schwäche.
    »Tun Sie das«, entgegnete Natalie kälter und hasserfüllter, als sie sich je gefühlt hatte. Ihr war, als verwandle sich ihr Knochengerüst in Stahl, und ihre Innereien verfestigten sich zu einer Art Motor, der immer weiterlaufen und laufen würde, bis sie diese Frau fand und ihr das Leben Tropfen für Tropfen herausquetschte. »Tun Sie das nur.« Sie trennte das Gespräch und fand sich auf der Sitzkante wieder. Sie atmete langsam und gemessen – ein tiefer Atemzug ist ein …
    Der Steward beugte sich ostentativ zu ihr vor; er hatte nur auf das Stichwort gewartet.
    »Gleich im Bug haben wir eine Privatkabine für vertrauliche persönliche …«, begann er. Dann hob Natalie den Blick und sah ihn an.
    Sein Mund arbeitete leer und versuchte, seine Wortkette wieder einzuziehen.
    »Wo sind wir?«, wollte sie wissen.
    »Ah, wir beginnen gerade den Sinkflug … Was tun Sie da? Nein, nein, Sie können jetzt nicht aufstehen, Madam, das Flugzeug beginnt den Wiedereintritt, und die Turbulenzen … verzeihen Sie bitte!«
    Natalie schob ihn aus dem Weg und eilte rasch zum Bug der Maschine. Sie drückte sich an zwei weiteren Besatzungsmitgliedern vorbei, die gerade die Getränkewagen zum Wiedereintritt verzurrten, und legte die Hand an den Türgriff der Cockpitluke.
    »Sie dürfen da nicht rein!«
    Die Luke war ohnedies durch ein elektronisches Schloss mit einem Zifferntastenblock verriegelt, doch während der Steward ihr nachsetzte, um sie zurückzuzerren, musterte Natalie aufmerksam die Fingerschmutzflecken auf den Tasten, suchte nach den abgegriffensten Ziffern. Irgendwann während des Fluges hatte sie sogar gehört,

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