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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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Mordkommission?«
    »Wie bitte?«
    »Meine Schwester trank nie. Und sie hasste das Schwimmen. Sie fürchtete sich vor der Tiefe …« Jude bemerkte, dass ihm die Kehle schmerzte. Er setzte neu an und stützte die Hände auf den Schreibtisch; sie blickte er an, nicht den Beamten. »Warum wird nicht wegen Mordes ermittelt?«
    »Nun … nach meinen Informationen war sie als obdachlose Alkoholikerin erfasst …«
    »Das ist zehn Jahre her«, sagte Jude und sah von seinen ausgebreiteten Fingern auf, deren Nägel weiß wurden. »Und in einem anderen Bundesstaat. Seitdem hat sie keinen Tropfen angerührt. Wieso haben Sie hier eine Akte von ihr? Hören Sie mir überhaupt zu?«
    »Ich bitte Sie, Mr Westhorpe, regen Sie sich nicht auf. Ich kann einen Kriminalbeamten rufen, der Ihre Aussage aufnimmt. Ich mache es sofort.« Er stand auf und eilte hinaus. Die Tür schloss er hinter sich.
    Wahrscheinlich hatte dieser Mensch es schon mit schlimmeren Fällen zu tun gehabt, viel schlimmeren sogar, doch Jude hatte keinerlei Mitleid mit ihm. Sie wollten es also als den tödlichen Unfall einer Pennerin hinstellen? Warum überraschte ihn das? Ihn sollte doch gar nichts mehr überraschen. Selbst wenn es eine Untersuchung gab, würde sie ohne Folgen bleiben oder die Tat irgendeinem wertlosen, entbehrlichen Helfershelfer in die Schuhe geschoben werden, der sie ganz sicher nicht begangen hatte. Wer auch immer White Horses Ermittlungen beendet hatte, würde nicht über solche Kleinigkeiten stolpern, und Jude wusste bereits, wer es gewesen war – zumindest wusste er, wo die Betreffenden arbeiteten, wenn auch nicht ihre Namen. Wozu die Umstände?
    Er stand auf, zog die Jacke wieder an und ging hinaus. Er rieb sich das Brustbein, wo etwas Spitzes versuchte, sich von innen herauszubohren.
    Den Rest des Tages verbrachte er allein in einer finsteren Bar, einem dieser Lokale, die einsame Denker anziehen und in denen man sich keine Mühe gibt, eine gesellige Stimmung zu schaffen. Zwischen den purpurnen Wänden und unter dem dunkelgrünen Licht, umgeben von abblätternder Farbe und dem Geruch tief eingewurzelter trockener Fäule traf er die nötigen Schritte, damit White Horse nach Hause geschickt werden konnte: Sarg, Leichenwagen, Übergabe. Er rief seinen Onkel Paul an, den Erdnussbutterkönig.
    »Jude«, sagte Paul und nahm in der blau-weiß gekachelten Küche seines Hauses in Deer Ridge Platz. Auf dem Display bauschten sich die Vorhänge in den Brisen eines sonnigen Montana-Nachmittags.
    Jude wartete, bis Paul sein Gesicht wahrgenommen hatte und sich vorbereitete, das zu hören, was zu hören niemand je vorbereitet ist. Als die Züge des alten Mannes erweichten und er die Brauen zusammenzog, sagte Jude: »White Horse ist tot.«
    Paul verzog kaum eine Miene. Nach einem Augenblick nickte er. »Dir geht es gut?«
    »Ich komme zurecht«, sagte Jude. »Ich schicke dir eine Liste von dem, was ich veranlasst habe. Ihre Leiche lasse ich zu deiner Adresse bringen. Du bist der nächste lebende Verwandte in Deer Ridge.«
    Paul nickte, als er die Dateien empfing. »Ich kümmere mich um alles hier, mach dir keine Gedanken.«
    »Danke.«
    »Kommst du?«
    Zur Beerdigung, meinte er. Jude zögerte. »Ja. Lass mich den Termin wissen.«
    Paul nickte. »Hältst du für sie die Augen auf?«
    Ermittelte er?
    »Ja.«
    »Ich sage es den anderen. Wir beten für dich.«
    Sie blickten sich noch kurz an, doch Jude konnte das Fehlen der Fragen und die Gelassenheit nicht ertragen; er drückte auf die ENDE-Taste, und der Bildschirm wurde dunkel.
    Hatte White Horse nicht gesagt, sie wolle einen Anwalt aufsuchen, den Mary ihr empfohlen habe? Er hatte dort anrufen und nach ihr fragen wollen, aber er hatte es nicht getan. Wieso nicht? Es hätte nur eine Minute beansprucht. Die Nummer hatte er.
    Nun rief er die Kanzlei an. Das Mädchen am Telefon bestätigte, dass White Horse einen Termin gehabt habe; sie sei aber nicht erschienen. Jude fragte, ob Mary Delaney sie empfohlen habe, und das Mädchen verneinte; White Horse habe den Termin selbst vereinbart. Ob er ihn nachträglich für sie verlegen wolle? Jude bedankte sich, es sei nicht nötig.
    Er ließ einen Zwanziger für seinen russischen Kaffee auf dem Tisch liegen und ging nach Hause. Dort las er noch einmal den Zettel, den White Horse ihm hinterlassen hatte. Er berührte ihn in dem Wissen, dass dieses Stück Papier das Letzte in seinem Besitz war, was sie angefasst hatte. Er fand keinen Hinweis, dass sie die Nachricht

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