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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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unwissenschaftlicher Blödsinn‹ – das warst doch du? Oder sollte ich mich verhört haben?« Erst jetzt kochte ihre Wut an die Oberfläche. Sie hasste den Schmerz in ihm und die Art, wie er sie zwang, Mitleid für ihren Vater zu empfinden. »Du wusstest auch über seine Vorstellungen von geistiger Freiheit Bescheid, und du hast darüber nie ein Wort gesagt!«
    Verletzt und vorsichtig blickte er sie an; seine hellblauen Augen lagen tief in den Höhlen, verschleiert unter Lidern, die ihn vor ihr zu schützen suchten. In dieser Sekunde sah sie sich, wie er sie sah: ihrer Mutter so ähnlich, erfüllt von der Überspanntheit, die für Charlotte so typisch gewesen war, dem Blickwinkel eines scheuen Herzens, das jeden Spalt und jeden Winkel einer ordentlichen, einfachen Welt mit Romantik und Geheimnis verstopfen und mit dem Spitzendeckchen der Fantasie verhunzen musste, wo doch schon ihre Gewöhnlichkeit ein Wunder war, das sie mit ihrem Firlefanz herabsetzte. Natalie war ein zartes Pflänzchen, unfähig, die Trauer über den Verlust ihrer Mutter zu verarbeiten, die sich immer etwas vorgemacht hatte; wahnsinnig vor Verzweiflung und in Depression verfallen, hatte sie sich dadurch gerettet, dass sie absurde Vorstellungen von der Funktionsweise des Bewusstseins ausbrütete – den Glauben an Schamanen und Schatten. Natalie gehörte ihm und musste geschützt werden; sie war sein Fehler und musste korrigiert werden. Er hatte gedacht: Wenn NervePath nur schon so gut funktioniert hätte, als sie vierzehn war, hätte ich sie schon in Ordnung gebracht, hätte ich ihr den Kopf zurechtgerückt.
    »Gütiger Gott!« Sie sprang auf und griff nach dem Türknauf, warf einen Blick zurück und sah Kropotkin erstaunt, ihren Vater aber voller Qual. Dann war sie auf dem Korridor und eilte in die Abgeschiedenheit ihres Zimmers.
    »Der Preis« – hatte Kropotkin sich so ausgedrückt? Vielleicht gab es einen Preis für alles, und Ian hatte Recht, wenn er seine Konten ausglich, bevor er alles hinter sich ließ.
     
    Als Jude erwachte, ruhte sein Kopf in Marys Schoß. Sie waren noch immer in dem Flugzeug von Dunway. Die Kabinenbeleuchtung war gedämpft und unverkennbar, wenngleich langsam und sanft, strich Mary ihm das Haar. Er täuschte vor, noch immer zu schlafen.
    Also verfügte die Army nicht über die Version von Deliverance, die er in Besitz hatte, und das konnte nur bedeuten, dass der Russe sie als nahe liegendste Methode zur Massenverbreitung von Mappaware einsetzen wollte – er trieb ein falsches Spiel mit der US-Regierung.
    Jude fragte sich, welches Programm er zu verbreiten plante. Die Antwort musste in der Datei zu finden sein, die er in seiner Wohnung zurückgelassen hatte. Um die ganze Geschichte zusammenzubekommen, würde er sie noch genauer unter die Lupe nehmen müssen als bisher. Vorher aber hatte er seine Schwester unter die Erde zu bringen und zu schauspielern, bis die Zeit reif war; er musste einem Menschen etwas vormachen, dem er aufgrund seiner Zweifel nicht trauen konnte, den jedoch zu hintergehen ihm sein Gewissen nicht gestattete. Er hatte Liebesheiraten gesehen, die auf schwächerer Überzeugung beruhten als dem unbewussten Glauben, den er in Mary setzte. Vielleicht hatte Natalie wirklich richtig gelegen, als sie ihn darauf hinwies. Aber was sollte das denn nun? Wenn sie log, gehörte ihre Liebkosung zu ihrem Plan, ihn bei guter Laune zu halten? Und wenn sie ehrlich war, stellte das nun einen Beweis aufrichtiger zärtlicher Gefühle dar?
    Das sanfte Streichen ihrer Fingerspitzen lieferte keinen Hinweis. Ohne dass er einen Grund hätte nennen können, fiel ihm plötzlich auf, dass sie in dieser Privatkabine ganz allein waren; er lag, sie berührte ihn besitzergreifend. Durch die makellose Serge ihres Rockes roch er sie, und es war ein erregender Duft, bei dem, nachdem er ihn einmal zugeordnet hatte, sich Judes Glied versteifte und sein Herz schneller schlug.
    Er zwang sich, reglos liegen zu bleiben, und zählte die Sekunden. Er sehnte sich danach, sich aufzurichten, sie zu küssen und sich im gedankenlosen Begehren des Augenblicks zu verlieren.
    Er atmete mit der Selbstbeherrschung eines gehetzten Tieres, das sich versteckt und nicht verraten will.
     
    Ian erinnerte sich, so gut er konnte, und brachte seine körperliche Form in die alte Gestalt. Das brauchte seine Zeit und war schwierig. Es kostete ihn Energie, die er lieber für sich behalten hätte, denn sein Vorrat war begrenzt – die einzige Energie, die er je

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