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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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Abenteuergeschichten sosehr wie jemand, der darauf brennt, ein Held zu sein, und das wünschten Guskows Zuhörer sich alle.
    Währenddessen verbrannte Judes Schwester bei lebendigem Leib in ihrem eigenen Haus.
    Natalie erhob sich voller Abscheu, stieg die Treppe zwischen den Sitzreihen hinunter und ging ins Foyer des Konferenzsaals. Vielleicht irrte sie sich. Vielleicht trieb Guskow sie alle nur zu einer letzten, gemeinsamen großen Anstrengung an. Sie verstand nur einfach nicht, wozu er Druck auszuüben versuchte. Andererseits hielt sie den Grund dafür womöglich in der Hand.

 
4
     
     
    Jude erwachte sehr langsam aus seinem Erschöpfungsschlaf, der ihm mehr wie ein Blackout vorkam. Wiederholt warfen ihn Wellen der Bewusstlosigkeit aus der Gegenwart seines Zimmers, und die leisen Verkehrsgeräusche wurden vom Fenster und den Stores zu Geflüster verwischt, das sich seinem Begreifen stets im allerletzten Augenblick entzog. Dazwischen erlebte er Momente, in denen er nahezu wach war und glaubte, er könnte die Augen öffnen und sähe das Licht von der Straße als gelbliches Band auf seine Füße fallen, während der Schimmer den Raum in eine trübe Bronzefarbe tauchte. Er versuchte sich zu erheben, seine Hand zu bewegen, sich herumzudrehen, glaubte, es geschafft zu haben, glaubte sogar zu spüren, wie seine Haut über das Laken streifte, doch eine Sekunde später, eine schwarze Sekunde später lag er wieder so da wie zuvor, eine goldene Statue in einem Bronzefries, sein Leib so träge wie massives Metall. Stunden vergingen im Flimmern seines Geistes. Tausendmal versuchte er aufzuwachen, aufzustehen, ein Geräusch zu verursachen, sich zu kneifen, frei zu sein, aber tausendundeinmal blinzelte er und sah, dass er sich all seine Siege nur eingebildet hatte. Er war dieser Kerl – wie hieß er noch gleich? Der Kerl, der den Felsen den Gipfel hinaufrollte, und kaum wandte er ihm den Rücken zu, da rollte der Stein wieder hinunter bis an den Fuß des Berges.
    Er stand auf und zog sich an.
    Er stand auf und knipste die Lampen an – sie funktionierten nicht.
    Er stand auf und schaltete den Fernseher ein. Ein Pferderennen lief. Die Pferde galoppierten in Zeitlupe, und sie trugen dunkle RayBan-Sonnenbrillen über den Augen. Der Kommentar drang klar und deutlich wie Glockenklang aus dem Lautsprecher, aber in keiner Sprache, die Jude kannte. Vielleicht, überlegte er, waren auch die Kommentatoren Pferde.
    Er stand auf und rief seine Mutter an. »Hallo, Jude! Wie geht es mit deiner Untersuchung voran, Schatz?«
    »Ich bin nicht in Washington, Mom, das weißt du doch, ich bin in … bin in …«
    Er stand auf, zog sich an und ging nach unten, um ein Restaurant zu suchen.
    Er stand auf.
    Er stand auf.
    Doch jedes Mal, wenn er aufwachte, war er gar nicht aufgestanden. Er sah seine Beine und seine Füße und befahl ihnen, sich zu bewegen, doch sie existierten in einem anderen Universum.
    Panik und Atemlosigkeit schnürten ihm allmählich die Brust ein, und mit jeder Wiederholung packten sie fester zu. Er wusste nicht mehr, wie man atmet. Sein Körper begann vor Sauerstoffmangel zu zucken. Seine Lungen kollabierten, und in seinen Adern spürte er einen Schmerz, der langsam, aber sicher zunahm, während ihre dünnen Wände anschwollen wie fette Würmer, die unter dem Druck der eigenen Gier jeden Moment zu platzen drohten.
     
    Er wachte auf und spürte eine Hand auf seiner Schulter. Sie war warm, aber unvertraut. Sie ruhte auf seinem kalten Arm, schwer wie eine echte Hand. Die Finger drückten zu, und seine Haut und seine Muskeln gaben nach und sanken nieder wie gehorsame Hunde, die auf den Befehl ihres Herrn warten. Jude war dankbar für diese Hand, denn endlich konnte er nun richtig aufwachen und sich erinnern, wie man atmet.
    Hinter sich spürte er die Körperwärme von irgendjemandem, die Kuhle in der Matratze, wo das Knie der oder des Unbekannten seinen Rücken berührten, und die Bewegung der Luft durch seine Bewegungen und Atemzüge. Er lauschte sehr genau auf die Atemzüge. Sie klangen wie die seinen, leicht panisch oder vielleicht auch schluchzend, als vergesse auch der andere, wie man atmet, oder als würde er erstickt.
    Scheiße, dachte er. Das war’s. Das Haus brennt, und sie holen mich raus. Ich muss sofort aufwachen. Ich muss sofort hier raus!
    Er roch Rauch; das beißende Gift brennender Farben und Kunststoffe, den erstickenden Teer kochenden Schaumstoffs. Er hörte Fensterscheiben und Fernsehschirme mit lautem

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