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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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Klirren platzen und das kehlige Fauchen von Flammen, die seine Tür umzüngelten. Aus einem gigantischen Mund brach das Feuer – ein Mund, der weit offen stand wie eine Junirose direkt unter dem Fußboden, mit peitschenden Zungen, bereit, ihn zu verschlucken.
    Er kämpfte, während sein Nervensystem vor Mühe laut kreischte, als zu seinem Entsetzen eine leise Frauenstimme sagte:
    »Es tut mir Leid. Es tut mir sehr Leid …«
    Er spürte etwas auf seiner Wange, das kühl und warm zugleich war; Atem, Lippen – ein Kuss.
    Der Boden unter dem Bett brach ein. Judes Herz zerriss, und er schrie auf vor Furcht, als er fiel. Der orangerote Feuermund verschlang ihn lachend, bis nur noch der wogende feuchte Dampfseiner Augäpfel übrig war.
    Er wachte auf.
    Straßenlicht fiel als gelbes Band auf seine Füße und tauchte das Zimmer in eine trübe Bronzefarbe, als hätte das Licht schon hundert Jahre lang so geschienen. Jude versuchte die Füße zu bewegen, und sie lösten sich voneinander. Er schob sich zurück und setzte sich auf. Obwohl er es nie hätte erklären können, wusste er doch, dass er nun wirklich wach war. Die anderen Male hatten sich so sehr von der Realität unterschieden, dass ihm schleierhaft war, wie er es irrtümlich für real halten konnte. Die Wirklichkeit war hundertmal detaillierter und greifbarer als jeder halbwache Zustand, und der Fernseher funktionierte und zeigte die Abendnachrichten, von denen er darüber hinaus jedes einzelne Wort verstand.
    Dennoch atmete er schwer und hätte schwören können, dass während des letzten Traumes tatsächlich jemand bei ihm gewesen war.
    Jude berührte seine Wangen der Stelle, wo er den Kuss gespürt hatte, obwohl er sich beinahe davor fürchtete. Nichts. Nicht einmal eine Resterregung der Nerven.
    Dann wurde ihm bewusst, wie kalt ihm war, fast so kalt wie einem Toten. Diese Frau, sie war ihm beinahe vertraut gewesen, aber er kannte niemanden wie sie. Ihre Stimme hatte er nicht erkannt, obwohl sie ihn auf eine Weise angesprochen hatte, die zu besagen schien, sie wären … Liebende hieß das erste Wort, das ihm in den Sinn kam. War er tot und sie am Leben? Konnte er sie erfunden haben, oder war sie in seinen Traum eingedrungen wie ein psychischer Spion? Der eigene Verstand konnte einem Menschen manchen Streich spielen. Wie oft hatte er White Horse versichert, dass ihre »Visionen« nur Einbildung seien; in diesem Augenblick aber hätte er nicht einmal ansatzweise die alte Überzeugung aufbringen können.
    Jude rieb sich das Gesicht und blickte sich um; er versuchte etwas vom Tag einzufangen, das nicht vom bizarren Glauben an die nichtexistente Frau getrübt war. Er fühlte sich allmählich besser, bis er das Licht neben dem Bett einschaltete.
    Ihm stockte das Herz.
    Auf der scheußlichen Tagesdecke aus Chintz lag ein dicker Aktendeckel aus brauner Pappe, dessen Form er augenblicklich als amerikanisches Standardmaß erkannte.
    Der Anblick löschte jede andere Wahrnehmung aus. Jude starrte den Aktendeckel an und war zu verwirrt, um Angst zu haben. Im Fernseher wechselte die Sendung. Der Raum wurde blau, und weiche Lichter spielten über das Bett wie Mondschein, der durch sich wiegende Bäume fällt. Jude riss sich zusammen und streckte die Hand nach der Akte aus, doch er packte nicht richtig zu, und blaue, rosa und weiße Seiten rutschten heraus. Jude ließ die Mappe fallen und schaltete das Deckenlicht ein. Seine Hände zitterten. In der Helligkeit wurde er sich seiner Nacktheit gewahr. Er sammelte seine Kleidung ein und zog sie an, ohne die Augen von den Papieren zu nehmen. Fotos waren angeheftet, und er bemerkte, dass es sich um Personalunterlagen handelte. Wie Regierungseigentum sahen sie aus.
    Sein Pad klingelte das Sechsnotensignal, das er für die Vorrang-Anrufe reserviert hatte. Er angelte sich das Pad vom Nachttisch und blickte aufs Display. Natalie Armstrong.
    Am Bett kniend, nahm er das Gespräch entgegen, fuhr sich mit der Hand durchs Haar und hoffte, dass er nicht allzu schlimm aussah, obwohl es gar nicht anders sein konnte.
    Ihr Gesicht materialisierte auf dem Bildschirm. Mit der vertrauten Gleichmut von Menschen, die sich oft über große Entfernungen unterhalten, blickte sie nicht ihn an, sondern etwas in ihrer Hand.
    »… was immer das ist und woher Sie es auch haben, ich muss auf jeden Fall mehr darüber erfahren. Ich nehme an, dass es in Anbetracht der Dinge keine sichere Leitung gibt, deshalb … Sie wissen bestimmt, wo ich wohne. Ich gehe in

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